Zu den Klassenkämpfen in Chile
Interview mit Urs Müller-Plantenberg
DOI:
https://doi.org/10.32387/prokla.v3i10.1788Keywords:
Klassenkampf, Chile, Allende, Arbeiterklasse, Gewerkschaften, Unidad PopularAbstract
Probleme des Klassenkampfs: Engels sagt, daß man um die Armee nicht herumkommt - man könne sie nur mit gleich starken Kraften besiegen oder sie zersetzen. Es wird bei uns seit dem Putsch im September vielfach die Auffassung vertreten,
Allende habe die Arbeiter verraten, indem er den Aufbau von Arbeitermilizen verhindert und sogar deren Entwaffnung zugestimmt habe. Auf der anderen Seite habe er die Armee gestützt und sogar gefördert (durch Waffenkäufe im Ausland usw.). Was würdest du zu dieser Auffassung sagen?
Müller-Plantenberg: Engels hat recht. Entweder muß man die Armee mit gleich starken oder möglichst stärkeren Mitteln besiegen oder sie zersetzen. Aber was ergibt sich daraus? Die Kräfte, die die Armee besiegen oder zersetzen könnten,
müssen doch zuerst geschaffen sein. Vielfach wird behauptet, daß 1970 die Arbeiter bewußt und entschlossen genug gewesen wären, eine bewaffnete Revolution durchzuführen. Diese Behauptung geht von völlig falschen Voraussetzungen aus. Die Bewaffnung eines Arbeiters, der sich seiner Klassensituation nicht voll bewußt ist, den noch Illusionen über die tatsächliche Klassensituation hat, nützt gar nichts, weil er nicht weiß, was er mit der Waffe in der Hand anfangen soll. Im Laufe der drei Jahre der Regierungszeit Allendes hat ein Prozeß stattgefunden, der das Bewußtsein der Arbeitermassen unglaublich gefordert hat, der ihnen Klarheit über ihre Klassenlage gegeben hat, der zu einer Polarisierung der gesamten Bevölkerung geführt hat und in dem schließlich auch die Arbeiter erkannt haben, daß sie sich selbst bewaffnen müssen.