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Call for Papers PROKLA 204
Vergessenes Land? Emanzipatorische Perspektiven auf rurale Entwicklung
(Heft 3, September 2021)
Gastredaktion: Bernd Belina (Frankfurt/M.), Andreas Kallert (Berlin), Michael Mießner (Dresden) und Matthias Naumann (Klagenfurt)
Ländliche Räume sind seit einiger Zeit wieder »in«: In Zeiten der Covid-19-Pandemie gelten sie als vermeintlich sicherere Orte, in denen das Risiko einer Infektion geringer ist; sie werden als Rückgrat einer nachhaltigen Energieversorgung betrachtet; Künstler*innen und Kulturschaffende haben das Land als günstigen Arbeitsort entdeckt; Coworking Spaces für urbane Akademiker*innen erleben einen Hype im ländlichen Umland von Großstädten und Gentrifizierung wird als neue Regionalentwicklungsstrategie für bislang schrumpfende ländliche Siedlungen angepriesen. Andererseits haben ländliche Räume, insbesondere in peripherisierten Regionen abseits der Metropolen, in den vergangenen Jahren vermehrt Aufmerksamkeit als Orte des »Abgehängtseins« von wirtschaftlicher Entwicklung, politischer Teilhabe und infrastruktureller Versorgung erfahren. Hier konnten rechtspopulistische Parteien überdurchschnittlich viele Stimmen gewinnen. Aktuelle Programme der Regionalpolitik – wie »Unser Plan für Deutschland« der Bundesregierung – versuchen, diese Probleme oftmals unter dem Stichwort »Gleichwertige Lebensverhältnisse« zu adressieren. Demgegenüber gibt es bislang nur wenige Analysen und Ansätze aus der kritischen Wissenschaft, die sich mit Fragen ländlicher Entwicklung auseinandersetzen – auch in der PROKLA sind dazu bisher nur wenige Beiträge erschienen. Dabei gibt es mit den Gemeindestudien, an denen das Institut für Sozialforschung beteiligt war, dem Kursbuch 39 (1975) zu »Provinz« oder dem Lesebuch von Brockmann von 1977 eine Tradition kritischer Wissenschaft, ebenso wie es mit der »Provinzarbeit« eine solche politische Praxis gibt. Kritische Perspektiven stellen zudem heraus, dass mit der Krise des Fordismus Ende der 1970er Jahre die deutsche Raumordnungspolitik sich stärker auf die wettbewerbsfähigen Metropolen konzentrierte, was zulasten vieler ländlicher Räume ging. Hier möchte das geplante Themenheft ansetzen und emanzipatorische Beiträge zu Bestandsaufnahmen, Einschätzungen und Perspektiven für ländliche Räume veröffentlichen.
Unser Ausgangspunkt ist dabei nicht »der ländliche Raum« bzw. »das Ländliche an sich«. Unumstritten ist, dass die Abgrenzung dessen, was »das Land« ist, immer wieder gesellschaftlich neu verhandelt wird. Stadt und Land stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander und sind immer weniger scharf voneinander abzugrenzen. Dennoch erleben ländliche Räume seit geraumer Zeit spezifische Transformationen. Hierzu zählen demographische Veränderungen selektiver Zu- und Abwanderung, ein grundlegender Wandel von Agrarmärkten und der Relevanzverlust des primären Sektors auf dem Land, der Wegfall und die Neuentstehung ländlicher Infrastrukturen oder auch das Wegbrechen bislang prägender Netzwerke und Sozialstrukturen. Diese Transformationen sind nicht konfliktfrei: Hierfür stehen Stichworte wie das Land Grabbing internationaler Investor*innen, Proteste gegen neue Energieinfrastrukturen oder Schließungen von Schulen, zwischen »Alteingessenen« und »Zugezogenen« gespaltene Dörfer oder die mediale Stigmatisierung ganzer Regionen als »verödet«. In diesen Konflikten ist eine gesellschaftliche Linke wie auch die kritische Wissenschaft bislang kaum präsent.
Doch auch emanzipatorische Projekte in ländlichen Kontexten, wie Initiativen der Geflüchtetenhilfe, solidarischer Landwirtschaft oder neue Formen gemeinschaftlichen Wohnens, finden bislang nur wenig Aufmerksamkeit in meist großstädtisch geprägten linken Milieus. Hier stellen sich Fragen nach Möglichkeiten und Grenzen linker Kommunalpolitik, da Kommunales immer stärker von Vorgaben nationaler und europäischer Ebenen politisch-ökonomisch reguliert wird. Für einen Umgang mit dem Sparzwang der Austeritätspolitik, aber auch für die Entwicklung munizipalistischer Ansätze bestehen in ländlichen Räumen besonders große Herausforderungen. Zugleich ist dort der Aufbau sozialer Infrastrukturen (in den Bereichen Wohnen, Gesundheit, Bildung, Mobilität etc.) unter den gegebenen Umständen stark eingeschränkt.
Für diese Fragen ländlicher Entwicklung kann die kritische Wissenschaft, etwa aus den Politik-, Geschichts-, Kultur- und Planungswissenschaften, der Geographie, der Soziologie oder der Anthropologie, wertvolle Beiträge liefern.
Wir freuen uns daher über Vorschläge zu folgenden und verwandten Themen im deutschen und internationalen Kontext:
Wir erbitten Einsendungen von Kurz-Exposés im Umfang von ein bis zwei Seiten bis zum 7. Februar 2021. Die fertigen Beiträge sollen bis spätestens zum 6. Juni 2021 vorliegen und einen Umfang von 45.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen, Fußnoten und Literaturverzeichnis) nicht überschreiten. Zusendung bitte an die PROKLA-Redaktion: redaktion@prokla.de, inga.jensen@prokla.de und matthias.naumann@aau.at.
Für Fragen zum Themenheft stehen die Redaktion und die Gast-Herausgeber zur Verfügung.
PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft |ISSN: 0342-8176 | Impressum und Datenschutz