Aktueller Call

Call for Papers für PROKLA 224 (Heft 3, September 2026)

Kämpfe ums Recht

Frist für Eingang der Exposés: 9. Februar 2026

Schwerpunktredaktion: Sonja Buckel, Anne Engelhardt, Janika Kuge, Maximilian Pichl, Tino Petzold, Felix Syrovatka, Carolina Vestena

Die Rolle des Rechts in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen scheint aktuell wieder stark politisiert. Während der Rechtsstaat nicht nur in hegemonialen Wirtschaftsnationen eng mit Verfassung, politischer Demokratie und dem Schutz von Minderheitsrechten verbunden war, wird das liberale Rechtsverständnis heute zunehmend infrage gestellt. Mit dem Erstarken autoritärer und extrem rechter Kräfte nehmen nicht nur die Angriffe auf die liberale Demokratie, sondern auch auf das mit ihr verbundene Rechtsverständnis zu. Rechte politische Akteure wie der amtierende US-Präsident Donald Trump, der ungarische Präsident Viktor Orbán oder der argentinische Präsident Javier Milei zielen dabei bewusst auf die Etablierung eines neuen Rechtsverständnisses ab. Doch nicht nur Rechtsextreme, sondern auch konservative Politiker*innen attackieren Gesetze und Gerichte und nehmen massiven Einfluss auf die Besetzung von Richter*innenposten. Ihre Politik wird also keineswegs nur von »Law and Order« flankiert: Das Recht selbst wird zur Zielscheibe und zum strategisch gewählten Austragungsort politischer Konflikte. Das lange in vielen Disziplinen entpolitisiert wirkende Recht, das politische Aushandlungsprozesse oft als externe Restriktion überwachte, abwägte und Grenzen setzte, wird nun offen als politische Instanz angegriffen. Das Verhältnis von Recht und Unrecht bzw. Recht und Gerechtigkeit verändert sich, spitzt sich neu zu und wird zunehmend offensichtlicher Kampffeld von gesellschaftlichen Konflikten. Kämpfe um das Recht und seine Mobilisierungspotenziale sind dabei keineswegs neu, sondern haben eine lange, widersprüchliche und räumlich variierende Geschichte.

Vor dem Hintergrund multipler Krisenerscheinungen treten Rechtskämpfe immer wieder an vielen unterschiedlichen Punkten auf und verweisen auf tradierte sowie neue Formen der Auseinandersetzung. In vielen gesellschaftlichen Konflikten gewinnt das Recht an Bedeutung als Kampffeld und mobilisierbares Instrument für Akteur*innen verschiedener Lager. Große aktuelle gesellschaftliche Fragen von Recht, Gerechtigkeit und Emanzipation werden mithilfe von Rechtskämpfen bearbeitet. Einerseits wird die Autorität des Rechts infrage gestellt, bzw. es gilt nur noch für bestimmte Gruppen. Andererseits gibt es weitere Bereiche wie das Arbeitsrecht, das in Bezug auf Arbeitszeit, Kinderarbeit und Arbeitsschutz in vielen Regionen der Welt umkämpft ist. Auch das Umweltrecht und das Recht auf einen bewohnbaren Planeten sind wiederkehrende Themen multipler Krisenerscheinungen und Konflikte. Darüber hinaus werden die Menschenrechte von Frauen*, Trans* und anderen Gruppen immer wieder bedroht. Auch Mobilitäts- und Asylrechte werden wieder zunehmend eingeschränkt, was ebenfalls zu Auseinandersetzungen und Rechtskämpfen führt.

Gerade im Bereich der Umwelt- und Klimapolitik ist es seit Jahren Teil der politischen Strategie emanzipatorischer Kräfte, eine stärkere Umweltpolitik durchzusetzen. Durch strategische Prozessführung werden Urteile zu hoch konfliktiven Fragen erzielt, Öffentlichkeit geschaffen und normative Ankerpunkte für die politische Debatte gesetzt. Damit werden politische Kämpfe ins Recht übertragen und codiert. Urteile, Rechtsdebatten und das öffentliche Interesse an Prozessen wirken wiederum in die politischen Debatten zurück und können diese beeinflussen. Zuletzt waren die sogenannten Klimaklagen Gegenstand medialer Berichterstattung. In diesen Klagen formulieren verschiedene Gruppierungen ein Recht auf eine lebenswerte Umwelt sowohl in der Gegenwart vulnerabler Gruppen als auch in der Zukunft und fordern verstärktes staatliches Handeln (vgl. PROKLA 219).

Auch andere emanzipatorische Kräfte greifen auf strategische Prozessführung zurück, um nicht nur in politische Debatten, sondern auch in institutionelle und räumliche Konfigurationen hineinzuwirken. So kämpften beispielsweise NGOs, Arbeits-, Menschenrechts- und Klimarechtsorganisationen aus aller Welt über Jahre um eine Richtlinie, die gewährleisten sollte, dass alle EU-Staaten ein Lieferkettengesetz umsetzen. Ein solches Gesetz eröffnet Rechtsräume globaler Verantwortung und Rechenschaftspflicht, indem darüber transnationale Unternehmen für die menschen- und umweltrechtlichen Standards entlang der Wertschöpfungsketten verantwortlich gemacht werden.

Diese Formen politischer Auseinandersetzungen im und mit dem Recht waren in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Thema rechtssoziologischer, rechtstheoretischer, feministischer und sozialwissenschaftlicher Forschung. Insbesondere in Zeiten gesellschaftlicher Krisen und Umbrüche richtete sich der sozialwissenschaftliche Blick verstärkt auf das Politische des Rechts und die auf und mit ihm ausgetragenen Kämpfe und Auseinandersetzungen. Auch in den letzten Jahren kann im deutschsprachigen Raum eine verstärkte Aufmerksamkeit und eine erhöhte Forschungsaktivität unter dem Überbegriff der Rechtskämpfe konstatiert werden. Diese Forschung findet an der Schnittstelle zwischen Politik- und Rechtswissenschaft, Soziologie und Geografie statt und legt den Fokus auf soziale Akteur*innen in Konflikten, die das Recht einfordern, bestehende Rechtsbestände mobilisieren oder auf dem sozialen Feld des Rechts um die Auslegung von Normen ringen.

Angesichts der globalen Tendenzen einer zunehmenden Politisierung des Rechts und der offensichtlichen Krise des liberalen Rechtsverständnisses halten wir die Analyse von Rechtskämpfen für ein fruchtbares Unterfangen, um gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verstehen und das Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit neu zu bestimmen. Auch Krisenentwicklungen sowie Potenziale für emanzipatorische Gegenbewegungen lassen sich mit dieser Linse sichtbar und diskutierbar machen. Diese Forschungsperspektive ist darüber hinaus anschlussfähig an rechtsgeografische Diskurse, die eine Differenzierung des Rechts in Bezug auf soziale und räumliche Kontexte vornehmen, dabei jedoch die Konflikthaftigkeit im Feld des Rechts sowie die Netzwerke der Akteur*innen in der Rechtsmobilisierung bisher vernachlässigen (vgl. PROKLA 220).

In dieser Ausgabe der PROKLA möchten wir die bisherigen Debatten und Anwendungsbereiche des vor allem im deutschsprachigen Raum rezipierten Konzepts »Rechtskämpfe« zusammenführen.

Wir freuen uns über theoretische und empirische Beiträge, die

  • die Fragen nach dem Emanzipationspotenzial von Rechtskämpfen thematisieren;
  • dem Verhältnis von Recht, Gerechtigkeit und Emanzipation nachgehen;
  • das Verhältnis von Staat, Autoritarismus und Recht aufgreifen;
  • sich mit der Frage auseinandersetzen, ob und wie sich aktuelle Rechtsstaatlichkeit und liberale Rechtsordnungen verändern;
  • Recht und Raum in Bezug setzen und beispielsweise diskutieren, wie Recht und ungleiche räumliche Entwicklung verbunden sind, prekäre Alltage vor Ort rechtlich co-konstitutiert sind oder welche Effekte Reskalierungsstrategien hin zum oder aber weg vom Völkerrecht haben;
  • Rechtskämpfe in verschiedenen Bereichen wie etwa im Strafrecht, in der globalen Produktion, im Bereich reproduktiver Rechte, im akademischen Feld unter befristeten Arbeitsbedingungen und Sozialkürzungen sowie als Reaktionen auf Autoritarisierungsprozesse aufgreifen;
  • Fragen zur Umsetzung, Auslegung und Anwendung von Recht, beispielsweise dem Arbeitsrecht, eruieren.

Wir freuen uns auch über Beiträge, die theoretische und empirische Leerstellen der »Rechtskämpfe« aufgreifen oder grundsätzliche Kritiken an den Themen »Rechtsmobilisierung« und »Rechtskämpfe« formulieren. Ebenfalls willkommen sind Beiträge, die sich der methodischen Umsetzung der »Rechtskämpfe«-Analyse widmen, beispielsweise der Historisch-Materialistischen Policy-Analyse und anderen Ansätzen.
Hinweise zur Einreichung

Hinweise zur Einreichung

Aussagekräftige Exposés von ca. 2 Seiten mit einem klaren thematischen Fokus (These und geplante Gliederung des Artikels, evtl. Darlegung der Empirie und Literaturauswahl) senden Sie bitte bis zum 9.2.2026 an redaktion[at]prokla.de. Bei Fragen kontaktieren Sie gern die Redaktion der PROKLA.

Die fertigen Artikel sollen bis zum 11.5.2026 vorliegen und einen Umfang von 45.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen, Fußnoten und Literaturverzeichnis) nicht überschreiten; politisch pointierte Einsprüche haben 15.000 bis 25.000 Zeichen. Siehe auch die Hinweise für PROKLA-Autor*innen.