Aktueller Call

Call for Papers für PROKLA 220 (Heft 3, September 2025)

Arbeit. Raum. Kämpfe.

Frist für Exposés: 10. Februar 2025

Schwerpunktredaktion: Anne Engelhardt, Alexander Maschke, Oliver Pye, Nora Räthzel, Jenny Simon

Die Welt wird räumlich neu konfiguriert. Der Neuanstieg des Protektionismus, die Zuspitzung geopolitischer Spannungen, der Aufstieg der BRICS-Staaten, die Krise in der Automobilindustrie – all dies und mehr hängt mit räumlicher Transformation von kapitalistischer Produktion und von Arbeitsprozessen zusammen. Zentrale Elemente davon sind beispielsweise das weltumspannende Handels- und Logistiknetzwerk des Projekts der Seidenstraße, die Verdichtung, aber auch Vulnerabilität von globalen Produktionsketten oder die weltweite Konkurrenz um Rohstoffe für den »grünen« Kapitalismus. Diese Ausgabe der PROKLA will derartige räumliche Neukonfigurationen aus der Perspektive der Arbeitsgeografie diskutieren.

In der Human- und Wirtschaftsgeografie, aber auch in der kritischen Geografie wurden Raumdynamiken des Kapitalismus bisher vorwiegend aus Sicht des Kapitals analysiert. Strukturen und Prozesse globaler Ungleichheiten wurden als Ergebnis inhärenter Logiken kapitalistischer Akkumulation verstanden – und kritisiert. Dies gilt sowohl für Ansätze, die Nord-Süd-Beziehungen als strukturelle Abhängigkeitsverhältnis untersuchen (Weltsystem, Dependenz, Imperiale Lebensweise, siehe PROKLA 198 und 205), für raumbezogene Theorien kapitalistischer Expansion (Akkumulation durch Aneignung, Landnahme) als auch für geografisch durchdachte Analysen von kapitalistischen Naturverhältnissen (World-Ecology).

Vor allem im englischsprachigen Raum ist in Auseinandersetzung mit diesen Theorien die Schule der Labour Geography (Arbeitsgeografie) entstanden, die kapitalismuskritisch, aber nicht kapitalzentriert vorgeht. Aus ihrer Perspektive wird betont, dass das Kapital als antagonistisches Verhältnis zwischen Arbeiter*innen und Kapitalist*innen begriffen werden muss; ein Verhältnis, das räumlich produziert und umkämpft ist. Damit ist die Produktion des kapitalistischen Raums nicht allein aus den Bedürfnissen der Kapitalseite abzuleiten, sondern als Ergebnis von Auseinandersetzungen zwischen den räumlich manifestierten Zielen von Arbeiter*innen und ihren Gegenspielern zu begreifen. Im Vordergrund steht das räumliche Agieren von Arbeiter*innen und der Arbeiter*innenbewegung, sowohl implizit im Alltagshandeln als auch explizit in der Art und Weise, wie sie sich räumlich organisieren. Dabei verfolgen sie ihre eigenen Ziele der sozialen Reproduktion, die auch räumlich in Widerspruch zu der Akkumulationsdynamik des Kapitals stehen.

Wir wollen mit dieser Ausgabe der PROKLA die Grundideen aber auch Weiterentwicklungen der Arbeitsgeografie für eine deutschsprachige kritische Öffentlichkeit aufbereiten und die politische Relevanz des Ansatzes herausarbeiten. Waren die Anfänge der Labour Geography mit raumbezogenen Strategien von Gewerkschaften im Globalen Norden beschäftigt, rücken heute Alltagskämpfe und Arbeiter*innenbewegungen aus dem Globalen Süden stärker in den Fokus. Aus feministischer Perspektive wird systematisch versucht, Räume der sozialen Reproduktion in Beziehung zu Räumen der Produktion in Beziehung zu setzen. Auch Naturverhältnisse werden zunehmend in die Arbeitsgeografie als räumlich spezifische und miteinander verknüpfte Stoffwechselprozesse integriert.

Insbesondere interessieren uns die Raumdynamiken von Arbeitskämpfen. Produktionsbezogene Veränderungen im Raum beeinflussen Arbeitskämpfe. Die Globalisierung, das Offshoring und Outsourcing von Produktion waren zum Teil eine Reaktion auf erfolgreiche Organisierung, um Lohnniveaus und soziale Standards zu unterlaufen. Gleichzeitig entstehen durch räumliche Umstrukturierungen – national und global – neue Gruppen von Arbeiter*innen, die neue Formen von Kämpfen entwickeln. Beispiele sind das Aufkommen von Massenstreiks im Globalen Süden in diesem Jahrhundert, neue Kämpfe von Plattformarbeiter*innen und in der Logistik oder Organisierungsoffensiven in der Care-Arbeit. In diesem Kontext entwickeln Arbeiter*innenorganisationen wie Gewerkschaften neue Strategien, um transnationale Kampagnen und internationale Solidarität zu praktizieren.

Die Redaktion freut sich über Beiträge, die diese Fragen aufgreifen und weitere Aspekte sowohl theoretisch als auch empirisch fundiert beleuchten. Besonders wichtig ist uns ein methodischer Fokus auf die Stimmen der Arbeitenden, beispielsweise durch Interviews, kollaborative Forschung mit Aktivist*innen und Aktionsforschung, inklusive einer kritischen Reflexion über solche Methoden. Ganz konkret wollen wir gerne folgende Fragen diskutieren:

  • Wie hängen räumliche Neukonfigurationen im Kapitalismus mit der Reorganisation von Arbeitsprozessen zusammen?
  • Welche Kämpfe entstehen aus räumlichen Neokonfigurationen? Wie beeinflussen Arbeitskämpfe die Raumdynamiken des Kapitalismus?
  • Wie könnten Räume der Produktion und Räume der sozialen Reproduktion sinnvoll aufeinander bezogen werden? Wie werden Reproduktionsräume erkämpft und für die Eigenorganisierung genutzt?
  • Welche Rolle spielen technische Entwicklungen wie Digitalisierung in der Raumgestaltung und in eigensinnigen Praxen von unten?
  • Wie schreiben sich Naturverhältnisse in Räume ein und wie hängen sie mit Arbeitsprozessen und -kämpfen zusammen?
  • Welche Rolle spielen Rassifizierungs- und Vergeschlechtlichungsprozesse und wie werden sie durch betroffene Akteur*innen in der Arbeitswelt, im Alltag, auf dem Feld oder in der Stadt infrage gestellt?
  • Welche Strategien gibt es, um neue Formen von transnationaler und globaler Solidarität zu entwickeln?
  • Welche methodischen Herausforderungen stellen sich dabei, wenn wir aus der Arbeits- und Akteur*innenperspektive raumbezogene Arbeits- und Klassenkämpfe analysieren?

Wir laden zur Einsendung von aussagekräftigen Exposés von ca. 2 Seiten mit einem klaren thematischen Fokus, evtl. Darlegung der Empirie und Literaturauswahl bis zum 10.2.2024 ein. Die fertigen Artikel sollen bis zum 12.5.2024 vorliegen und einen Umfang von 45.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen, Fußnoten und Literaturverzeichnis) nicht überschreiten; politische pointierte Einsprüche haben 15.000 bis 25.000 Zeichen. Siehe auch die Hinweise für PROKLA-Autor*innen.

Zusendung bitte an: redaktion [at] prokla.de