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Wenn sie nicht gerade zu denjenigen gehören, die Richard Wagner als umstürzenden Neuerer der klassischen Musiktraditionen schätzen, so dürfte der 200. Geburtstag des Meisters die Mehrzahl der PROK LA - Leser/innen eher kalt lassen. Sie verbinden damit vermutlich am ehesten Bilder der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Elite der Bundesrepublik, die im August nach Bayreuth wallt, um sich dort den Klängen der Tetralogie Der Ring des Nibelungen hinzugeben, vielleicht aber auch nur, um in der Öffentlichkeit den Eindruck der Kulturbeflissenheit zu erwecken, und in den Pausen an Stehtischen teuren Sekt zu trinken. Doch der 1813 geborene Wagner war nicht nur ein Zeitgenosse des 1818 geborenen Karl Marx (sie starben sogar im selben Jahr, 1883), beide nahmen auf unterschiedliche Weise Anteil an der Revolution von 1848, und wenn für Marx die Berichte über Arbeit und Leben der englischen Arbeiterschaft eine wichtige Grundlage für seine Überlegungen zum Los der Arbeiterklasse im Kapitalismus wurden, so weiß man aus den Tagebüchern von Wagners zweiter Frau Cosima, dass dieser von einem England- Besuch ähnliche Eindrücke mitbrachte, die sich insbesondere im Rheingold , dem ersten Teil des Rings , niederschlugen: „Auf der Heimfahrt von Greenwich entgeht ihm nicht der Eindruck von ‘Nibelheim, Weltherrschaft, Tätigkeit, Arbeit’ und von dem ‘Druck des Dampfes’, der überall den ‘Traum Alberichs’ erfüllt hat.“ (Holland 1990: 535) Wagners mythologische Geschichte von der Jagd nach dem Gold, von Liebeshändel, Betrug, Verrat, Mord und Totschlag, von Herrschaft und Untergang der Herrschenden ist von vielen Beobachtern immer schon als Parabel auf den Kapitalismus des 19. Jahrhunderts interpretiert worden, so auch von Franz Wilhelm Beidler, dem ersten Enkelsohn Wagners: „Die komplizierten Schachtanlagen und Hüttenwerke des Ruhrgebiets etwa vereinfachen sich zu den Werkstätten Nibelheims, die Anonymität des Kapitals, die Unsicherheit des Aktionärs enthüllt sich im verschleierten Tarnhelm. Die dämonische Kraft des Ringes, d.h. des kapitalistischen Macht- und Profitstrebens, durchdringt alle Beziehungen, löst alle Bindungen, Rechte und Sitten auf. Die von altersher herrschenden Gewalten – hier heißen sie Götter – verstricken sich im kapitalistischen Gestrüpp, und die Welt wartet auf den Menschen. Auf den Menschen, der durch Verzicht auf Besitz und Gewinn die Kraft zur befreienden Tat findet und Götter und Zwerge ablöst. “ (zit. nach Borchmeyer 2002: 523) Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, dass sich Wagners kapitalismuskritischer Impetus oftmals auch mit antisemitischen und nationalistischen Vorstellungen verband, die in der Schrift Das Judentum in der Musik gipfelten.
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