Bd. 9 Nr. 35 (1979): Neue Phase der Gewerkschaftspolitik?

					Ansehen Bd. 9 Nr. 35 (1979): Neue Phase der Gewerkschaftspolitik?

Neue Phase der Gewerkschaftspolitik? Die Auszüge aus einem Bericht über eine Klausurtagung des Vorstands der IG Metall deuten zumindest eine wichtige Veränderung der Formen des gewerkschaftlichen Kampfes an: Neben der bewußteren Koordinierung der gewerkschaftlichen Aktivitäten und der angestrebten Verallgemeinerung von erst in einigen Branchen bzw. Bezirken durchgesetzten Forderungen geht es beim Kampf gegen die Folgen der Rationalisierung offenbar auch um eine verstärkte Einbeziehung der unmittelbaren Erfahrungen in den Betrieben. In den beiden ersten Beiträgen in diesem Heft der PROKLA wird auf einige dieser Erfahrungen in den letzten Tarifkämpfen Bezug genommen, indem Aspekte der Tarifauseinandersetzungen 1978 im Metall- und Druckbereich exemplarisch analysiert werden. Chr. Watkinson, E. Hildebrandt und H. Funke beziehen das gewerkschaftliche Tarifpolitik-Konzept gegen Abgruppierungen in Nordbaden/Nordwürttemberg 1978 auf die unmittelbaren Rationalisierungs-Erfahrungen der Belegschaften in den Betrieben. Dieser Bezug gewinnt für die „neue Phase" insofern an Bedeutung, als sich in neuen Tarifkonzeptionen die aktuell betriebliche Gegenwehr gegen Rationalisierungen ausdrücken muß und gewerkschaftlich durchgesetzte Schutzbestimmungen nur mit breiter Unterstützung der Gewerkschaftsmitglieder durchsetzbar und in den betrieblichen Auseinandersetzungen ausföllbar sind. R. Erd und W. Müller-Jentsch verbinden ihre Analyse der Tarifrunde 1978 der IG Druck und Papier mit einer historischen Skizze der Tarifpolitik im Druckbereich von den Anfängen gewerkschaftlicher Organisierung bis zur letzten Tarifrunde 1978. Dadurch ist es ihnen möglich, die Besonderheiten und Probleme der Politik einer Gewerkschaft herauszuarbeiten, die sich stets als Interessenvertretungsorgan von Facharbeitern verstanden hat und sich jetzt mit den negativen Folgen der Rationalisierung gegenüber dem Facharbeiterstatus und der daraus resultierenden Notwendigkeit einer radikalen Infragestellung auseinandersetzen muß. Hinter den Veränderungen der Gewerkschaftspolitik (und der verschärften Klassenkampfpolitik des Kapitals, wie sie sich in den Streiks in der Stahlindustrie herausschälte) steht nicht zuletzt der Druck der industriellen Reservearmee, die - trotz zyklischem Wiederaufschwung - immer noch eine Million.Arbeitslose umfaßt. Die Existenz einer solch hohen Zahl von Arbeitslosen wurde oft ·in Diskussionen der zweiten und dritten Internationale als Ausgangspunkt eines Politisierungsprozesses innerhalb der Arbeiterschaft behauptet.

Veröffentlicht: 1979-06-01