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Das neue Deutschland ist nicht mehr die alte Bundesrepublik. In westlichen Ohren klingt diese Feststellung nicht selten wie eine Drohung, berührt sie doch die implizite Erwartung, die zur Geschäftsgrundlage für den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gemacht worden war. Im Tausch gegen den Verzicht, die staatliche Einheit Deutschlands zum Gegenstand einer politischen Willenserklärung des demokratischen Souveräns zu erheben, haben die Regierenden des überlegenen westlichen Staates das politische Versprechen abgelegt, daß sich jenseits der Elbe alles, diesseits aber möglichst nichts ändern soll. Heute sind die Klagen Legion, daß weder das eine noch das andere sich eingestellt habe. Wenn ein Drittel aller Arbeitsplätze der DDR in den fünf neuen Ländern vernichtet worden und bald vierzig Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung von staathcher Alimentierung abhängig sind, dann wird in der Oberlausitz, in Vorpommern oder in Halle-Neustadt langsam die Hoffnung sinken, zur Lebensform des westlichen Besitzindividualismus überwechseln zu dürfen. Das Volk der ehemaligen DDR wird durch die Erfahrung zusammengehalten, im Verhältnis zum Westen eine kollektive Deklassierung verarbeiten zu müssen (vgl. den Beitrag von Peter A. Berger), die ihm überdies noch von jenen verordnet wurde, die sie politisch beauftragt hatten, für ihren kollektiven Aufstieg zu sorgen. Als vorherrschende Tendenz in der ostdeutschen Sozialstruktur hat sich nicht die Ausdifferenzierung verschiedener Marktklassen, sondern die vermutlich dauerhafte Herausbildung einer überdimensionierten Versorgungsklasse eingestellt.
PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft |ISSN: 0342-8176 | Impressum und Datenschutz