Bd. 25 Nr. 101 (1995): Kapitalistische Kulturen

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Mit dem Zusammenbruch der »realsozialistischen « Regimes in Osteuropa hatte sich der Kapitalismus (zumindest bis auf weiteres) als weitgehend konkurrenzloses Unternehmen durchgesetzt. Aber nur kurz war von einer »Neuen Weltordnung« oder gar von einer »Friedensdividende«, die Wohlstand für alle bringen sollte, die Rede: wie kriegerisch die neue Zeit war, machte der Krieg gegen den Irak ebenso klar wie die Nationalitätenkonflikte in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und der Bürgerkrieg in Jugoslawien (vgl. dazu PROKLA 84, Neuaufteilung der Welt und PROKLA 87, Nationalismus am Ende des 20. Jahrhunderts). Nachdem die alte Konfliktlinie zwischen Ost und West weitgehend beseitigt war, schien nun diejenige zwischen Nord und Süd an Bedeutung zu gewinnen. Und bald wurde im siegreichen Westen auch ein neuer Feind ausgemacht: Die Bedrohung von Freiheit, Demokratie, abendländischer Kultur und Kapital kam jetzt nicht mehr aus einem »kommunistischen« Reich des Bösen, sie ging jetzt von einem vor allem im Nahen und Mittleren Osten angesiedelten »Fundamentalismus« aus. Autoren wie Samuel Huntington, die prognostizierten, daß die Zukunft nicht mehr durch Auseinandersetzungen zwischen Ideologien, sondern zwischen Kulturen geprägt wird, hatten (und haben) Konjunktur. Gerade in der Konstruktion des Feindbildes »Fundamentalismus « wird aber nicht nur der westliche Anteil am Aufstieg fundamentalistischer Bewegungen (wie etwa in den 80er Jahren in Afghanistan, wo es gegen den kommunistischen Feind ging) geflissentlich übersehen, auch die fundamentalistischen Tendenzen im Westen, sei es nun in Gestalt einer wiedererwachten Religiosität, eines neuen Puritanismus oder des marktwirtschaftlichen Fundamentalismus der herrschenden ökonomischen Theorie geraten dabei nicht in den Blick (vgl. zu diesen Seiten PROKLA 96, Fundamentalismus und neue Religiosität).

Veröffentlicht: 1995-12-01