Bd. 29 Nr. 116 (1999): „Rot-Grüner“ Absturz

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Gerade ein Jahr ist es her, daß „Rot- Grün“ einen glänzenden Wahlerfolg erlebte. Nicht nur wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Bundesregierung tatsächlich abgewählt, mit den Grünen war in der Regierung erstmals eine Partei vertreten, die ihre Gründung und ihren Aufstieg den außerparlamentarischen Protestbewegungen der späten 60er und 70er Jahre sowie der Friedensbewegung der 80er Jahre zu verdanken hatte. In diesem einen Jahr ist es der rot-grünen Regierung allerdings gelungen, auch noch die minimalsten Erwartungen, die man in sie gesetzt hatte, zu unterbieten. „Rot-Grün“ befindet sich nicht nur in den gerade lancierten Umfragewerten im Sturzflug, „Rot-Grün“, verstanden als Projekt einer wenigstens ansatzweisen Alternative zur konservativ-neoliberalen Politik der Vorgängerregierung, ist bereits in diesem ersten Regierungsjahr abgestürzt. Für die PROKLA war dies Grund genug sich mit diesem Absturz zu beschäftigen und den geplanten Schwerpunkt zu Drogenhandel, Sicherheitsapparaten und damit verbundenen gesellschaftlichen Transformationsprozessen auf das nächste Jahr zu verschieben. In doppelter Hinsicht symbolisch war die Wiederherstellung der vollen Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle zu Beginn der Legislaturperiode: die materiellen Auswirkungen blieben gering, da die Lohnfortzahlung bereits in vielen Tarifverträgen vereinbart worden war; zum anderen blieb dies aber das einzige Wahlversprechen (neben der Kindergelderhöhung), das wirklich eingelöst wurde. In der Folge gab es dann nur noch Abstürze in den verschiedensten Bereichen. Die grundlegende Reform des Staatsbürgerschaftsrechts wurde gegen den Druck einer deutschtümelnden CDU/CSU nicht wirklich verteidigt, schnell wurde dem nachgegeben, was man für die Gemütslage des Volkes hielt. Ganz ähnlich beim vollmundig angekündigten Atomausstieg: konzeptionslos stand die Regierung den Kraftwerksbetreibern gegenüber, die – keineswegs überraschend, von „Rot- Grün“ aber offensichtlich unerwartet – ihre längst abgeschriebenen und daher besonders profitablen AKWs auf keinen Fall frühzeitig abschalten wollen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Veröffentlicht: 1999-09-08