Bd. 30 Nr. 119 (2000): Chinesischer Kapitalismus

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Auf einen großen Teil der westeuropäischen Linken, die sich in den 60er Jahren jenseits der traditionellen Parteien der Arbeiterbewegung im Protest gegen den Vietnamkrieg konstituierte, übte das Sozialismusmodell der Volksrepublik China eine eigenartige Faszination aus. China konnte anscheinend nicht nur eine bessere Entwicklungsbilanz aufweisen als die meisten kapitalistisch orientierten Länder der sog. 3. Welt; auch sein politisches System schien nicht ganz so verkrustet zu sein, wie das der Sowjetunion. Vor allem die 1966 einsetzende „Kulturrevolution“ stieß bei der studentischen Linken Westeuropas auf zunehmende Begeisterung: hier wurden nicht nur hierarchische Strukturen kritisiert, anscheinend ging es auch um die Veränderung kultureller Werte als Voraussetzung einer kommunistischen Gesellschaft. Zwar blieb diese Begeisterung für das chinesische Modell in den 70er Jahren nur noch in den diversen maoistischen Parteigründungen erhalten; es brauchte aber noch einige Zeit bis sich die Einsicht durchsetzte, daß mit der Kulturrevolution in erster Linie die Parteiführung um Mao Zedong ihre Macht zu behaupten versuchte, die nach dem Desaster des „Großen Sprungs“ angeschlagen war. Ziel des 1958 begonnenen „Großen Sprungs nach vorne“ war eine beschleunigte wirtschaftliche Entwicklung, die durch dezentrale und arbeitsintensive Produktion erreicht werden sollte: jedem Dorf seinen eigenen kleinen Stahlkocher. Gleichzeitig wurden riesige Volkskommunen geschaffen, die auf die weitgehende Auflösung der privaten Hauswirtschaft abzielten und die Massenmobilisierung für Großprojekte erleichtern sollte. Der „Große Sprung nach vorne“ endete in einer wirtschaftlichen Katastrophe mit ca. 30 Millionen Hungertoten.

Veröffentlicht: 2000-06-01