Bd. 32 Nr. 128 (2002): Peripherer Kapitalismus in Europa

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Mit dem Ende der Sowjetunion und der Auflösung des von ihr beherrschten Staatenblocks schien für die Länder Osteuropas der Weg frei, um aus der realsozialistischen "zweiten" in die kapitalistisch "erste" Welt zu gelangen und dort von Wohlstand und Demokratie zu profitieren. So wünschte es sich jedenfalls die Mehrheit der Bevölkerung der mittel- und osteuropäischen Länder und so verkündeten es auch westliche Politiker und Wirtschaftswissenschaftler: mit der schnellen Einführung marktwirtschaftlicher Strukturen, der Privatisierung der staatlichen Unternehmen und der Einrichtung parlamentarisch-demokratischer Institutionen sollte das nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus unausweichliche "Tal der Tränen" bald durchschritten sein. "Blühende Landschaften", die einst ein Kanzler Kohl den Menschen der DDR versprochen hatte, wurden nicht nur dort erwartet. Zwar wurden in allen ehemals "sozialistischen" Ländern marktwirtschaftliche Reformen eingeführt, doch haben die neuen osteuropäische Kapitalismen - trotz der historisch einmaligen Radikalität bei der Einführung von Privatisierungs-, Liberalisierungs- und Deregulierungsmagnahmen - noch immer recht wenig Ähnlichkeiten mit ihren westlichen Vorbildern. Ende der 1990 Jahre reicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (gemessen im Bruttoinlandsprodukt pro Kopf) der meisten osteuropäischen EU-Beitrittskandidaten nicht einmal an diejenige der ärmeren EU Länder wie Griechenland heran - und diese Beitrittskandidaten bilden innerhalb Osteuropas Länder den Wohlstandsgürtel. Entscheidender noch als das absolute Entwicklungsgefälle ist aber dessen Dynamik: Der Abstand zwischen West- und Osteuropa hat sich in den 1990er Jahren vergrößert und nicht verringert; die ungleiche Entwicklung hat sich deutlich verstärkt.

Veröffentlicht: 2002-09-01