CfP 214: Feministische Ökonomiekritik
Die feministische Diskussion rund um den Zusammenhang von Vergeschlechtlichung, Patriarchat und Kapitalismus hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschoben. Das lässt sich anhand des Zeitraums zwischen unserem 2014 erschienenen Heft zum Materialistischen Feminismus (Heft 174) und heute gut nachvollziehen: Noch vor knapp zehn Jahren diagnostizierten wir, dass sich antifeministische Strategien und Kämpfe verschärfen, gleichzeitig aber das gesellschaftstheoretische Handwerkszeug, das zu deren Analyse herangezogen wurde, vorwiegend von kulturalistischen, eher poststrukturalistisch gefärbten Zugangsweisen und liberalen Feminismen beeinflusst schien. Häufig, so wurde kritisiert, geriet der Zusammenhang von Geschlecht und kapitalistischer Produktionsweise aus dem Blick. Die Beiträge des Heftes 174 widmeten sich daher vor allem Fragen danach, was die Überlegenheit eines feministisch-materialistischen Krisen-, Gesellschafts- und Kapitalismusverständnisses ausmacht, welchen Stellenwert etwa New Materialism oder auch eine feministische Politische Ökologie für gegenwärtige emanzipatorische Kämpfe einnehmen.
Wir finden heute eine andere Situation vor. Nicht erst im Kontext der Coronapandemie (siehe bereits PROKLA 197 zu Krisen der Reproduktion) wurde deutlich, dass die krisenhafte gesellschaftliche Ungleichverteilung der Reproduktions- und Care-Arbeit als integraler Bestandteil von gesellschaftlichen Krisendynamiken gelesen werden muss. Soziale Kämpfe spitzen sich vielerorts zu und vielfach wird vertreten, dies gehe mit erstarkenden Zugriffen auf weibliche Arbeitskraft, Selbstbestimmung, Körper, aber auch neuen feministischen Widerständigkeiten einher. Stichworthaft genannt seien hier der Kampf um das Abtreibungsrecht in den USA, die Angriffe auf LGBTQI-Rechte, die Bewegungen gegen Femizide in Lateinamerika sowie die unterschiedlichen Streikwellen in der Pflege, Bildung und anderen Sektoren, die vor allem auf die Reproduktion der Arbeitskraft ausgerichtet sind. Wir wollen der Frage nachgehen, inwieweit sich eine derartige Tendenz tatsächlich global feststellen lässt, oder ob hier stärker differenziert werden muss zwischen verschiedenen Perioden und Ländern sowie der Lage von Frauen und Queers in unterschiedlichen Positionen der sozialen Hierarchie.
Auf der theoretischen Ebene verbinden materialistisch-feministische Theorien eine Kritik an patriarchalen Strukturen und Geschlechterverhältnissen in der Regel mit einer spezifischen Analyse der mit ihnen vermittelten ökonomischen Verhältnisse und der Strukturlogik des Kapitals. Zuletzt sind etwa im Zuge der Debatten um soziale Reproduktion, Care und feministische Kapitalismuskritiken auch im deutschsprachigen Raum vermehrt Arbeiten in Anschluss an die Social Reproduction Theory entstanden, die wiederum zu postkolonialen, ökologischen und intersektionalen Zugängen produktive Bezüge herstellen.
Die PROKLA 214 will zur Klärung des Ökonomieverständnisses und der Ökonomiekritik innerhalb des feministischen Denkens beitragen: Was leisten sie, welche Leerstellen und welche Grenzen weisen sie auf?
Hier geht es zum ausführlichen Call for Papers.
Frist für Exposees ist der 7. August 2023.