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Frist für Eingang der Exposés: 7. Juli 2025
Schwerpunktredaktion: Madeleine Böhm, Philipp Frey, Yannick Kalff, Mariana Schütt, Sebastian Sevignani, Sandra Sieron, Ingo Stützle
Als vergegenständlichte Hand- und Kopfarbeit steht Technik im Zentrum von Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Arbeitsteilung, Macht, Teilhabe und Zukunft. Im Kapital schrieb Marx, es bedürfe »der Zeit und Erfahrung, bevor der Arbeiter die Maschinerie von ihrer kapitalistischen Anwendung unterscheiden und daher seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen gesellschaftliche Exploitationsform übertragen lernt« (MEW 23: 452). Was die Reproduktionssphäre betrifft, argumentierte Harriet Law, im Sommer 1868 die einzige Frau im Generalrat der Internationalen Arbeiterassoziation, Maschinen trügen dazu bei, Frauen weniger abhängig von Männern zu machen und sie letztlich von der »häuslichen Sklaverei« zu befreien. Technik ist in ihrer Wirkung ambivalent, zumal wenn sie in verschiedenen Kontexten betrachtet wird. Sie kann Arbeit reduzieren, erleichtern und besser organisieren, bringt neue Möglichkeiten der Gestaltung in die Welt und kann Lern- und Qualifizierungsprozesse anstoßen; sie kann aber auch Arbeitslosigkeit befördern, Arbeit vereinseitigen und verdichten, Mittel von Ausbeutung und Enteignung, von Kontrolle und Überwachung sein, de-qualifizieren, und Menschen und Natur vernichten.
Die von Marx und Law anvisierten kollektiven »Lernprozesse« durchziehen die Technikgeschichte: von den »Maschinenstürmern«, denen Eric Hobsbawm Verhandeln durch Taten attestierte, über gegenwärtige Formen von »Sabotage« (Malm), die gegen die Abwälzung der Kosten industrieller Produktion auf Dritte gerichtet ist, bis zum kreativen »Umwidmen« von Technologien, wenn Nutzer*innen die Kontrolle über die Daten und die Kommunikation selbst bekommen, wie es beispielsweise Helen Hester im Sinne des Xenofeminismus einfordert. Allerdings erscheinen sowohl die Erfindung und das Design von Technik als auch ihr Einsatz zusammen mit den tatsächlichen oder behaupteten Sachzwängen und Eigenlogiken des technischen »Fortschritts« den meisten als Macht. Dies kann als Ohnmacht erfahren werden, etwa wenn Automatisierung den Arbeitsplatz bedroht oder technische Kontrollregime die Arbeitsbedingungen verschlechtern. Technik ermöglicht oder erweitert aber auch Partizipation und Handlungsfähigkeit. Innerhalb der herrschaftlich strukturierten gesellschaftlichen Arbeitsteilung des Kapitalismus (zwischen Expertinnen und Ausführenden, zwischen Vermögenden und Ausgebeuteten, zwischen Zentren und Peripherien etc.) bleibt oft nur die möglicherweise eigensinnige oder widerständige Anwendung und Aneignung von Technik. Eine emanzipative, »bedürfnisorientierte« Rückbindung von Nutzung und Entwicklung ist systematisch unterbrochen oder zumindest schwer und kaum verallgemeinert herzustellen. Technik als Gegenstand umfassender kollektiver Gestaltung wird selten gedacht und nur in Nischen praktiziert.
Vor diesem Hintergrund fragen wir, wie sich das Verhältnis von Technik und Ohnmacht vs. Emanzipation heute darstellt. Sowohl die Produktionsmittel als auch die Produktions-, Distributions- und Konsumptionsverhältnisse haben sich geändert. Heute allgegenwärtig sind insbesondere – aber nicht nur – digitale, vernetzte Technik, wie etwa »Künstliche Intelligenz« oder »Big Data«-Technologien in Form von algorithmischen (Management-)Systemen. Auch im Alltag lädt digitale Technik heute mehr denn je zur intensiven und immersiven Nutzung ein, etwa in Form von Dating-, Menstruations- und Fitness-Apps, Streaming- und Gamingdiensten oder als Plattformen für Clickwork und Microtasks; sie bringen damit nicht nur bestimmte Arbeits- und Distributions-, sondern auch Konsumptions-, Begehrens- und Lebensweisen hervor. Sie sind im umfassenden Sinn Regulations- und Regierungstechnologien – und als solche sind sie nicht nur für das Kapital, sondern auch für die Ausübung staatlicher Herrschaft interessant.
Während sich einige wenige technische (Re-)Produktionsmittel, wie etwa Open-Source-Software teilweise demokratisiert haben und anfänglich auch weitergehende Emanzipationshoffnungen nährten, trifft dies gerade nicht auf große technische Systeme und Infrastrukturen, wie etwa Unterseekabel, Satellitennetzwerke und Rechenzentren zu. Diese waren und sind in privater oder staatlicher Hand und werden oft von diesen in Zusammenarbeit entwickelt und betrieben, wobei es auch hier zur privaten Abschöpfung von gesellschaftlichem Wohlstand und Wissen kommt. Große private Technologiekonzerne, spezialisiert auf den Betrieb immenser Rechenkapazitäten und/oder die Absorption von Wissen, Information und Daten, sind nicht nur unverzichtbar für immer mehr wirtschaftliche Aktivitäten, sondern auch zentraler Referenzpunkt für industriepolitische Initiativen der »Industrie 4.0«, dem »Internet of Things« oder der »Smart City«. Konzerne treten teilweise zu Staaten in Konkurrenz, wenn sie nicht nur smarte Waffen-, Überwachungs- und Finanztechnologien produzieren, sondern selbst betreiben, und sie sind heute kritische Akteure geopolitischer Auseinandersetzungen, etwa im Bereich der fortschrittlichsten Computerchipentwicklung.
Die Frage, ob wir dabei ausgehend von diesen Tendenzen sowohl der Entwicklung der Produktivkräfte als auch deren Organisation, den Aufstieg einer neuen Produktions- und Regulationsweise erleben, der Einfachheit halber jüngst oft als »digitaler Kapitalismus« bezeichnet, ist umstritten. Jedenfalls müssen wir die skizzierten Veränderungen bei der Bestimmung von Emanzipationspotenzialen wider die Ohnmacht betrachten: Wie steht es also heute einerseits um die Produktion von Ohnmacht durch Technik und welche gesellschaftlichen Folgen hat sie? Aber auch: Auf welche emanzipatorischen Lernprozesse wider die Ohnmacht können wir uns stützen und wie lassen sie sich verallgemeinern? Ausgehend von diesen Interessenbestimmungen laden wir zu Beiträgen ein, die sich u.a. anderen mit folgenden Themen beschäftigen:
Hinweise zur Einreichung
Wir laden ausdrücklich dazu ein, mit vielfältigen methodischen und theoretischen Zugängen zu antworten – von empirischen Fallstudien über konzeptionelle Beiträge bis hin zu Reflexionen kritischer (Gegen-)Praxis. Wir freuen uns auf vielfältige, anregende und streitbare Beiträge, die progressive Perspektiven im Angesicht von Ohnmacht und gesellschaftlichem Wandel eröffnen.
Aussagekräftige Exposés von ca. 2 Seiten mit einem klaren thematischen Fokus (These und geplante Gliederung des Artikels, evtl. Darlegung der Empirie und Literaturauswahl) senden Sie bitte bis zum 7.7.2025 an redaktion[at]prokla.de. Bei Fragen kontaktieren Sie gern die Gastredaktion der PROKLA.
Die fertigen Artikel sollen bis zum 13.10.2025 vorliegen und einen Umfang von 45.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen, Fußnoten und Literaturverzeichnis) nicht überschreiten; politische pointierte Einsprüche haben 15.000 bis 25.000 Zeichen. Siehe auch die Hinweise für PROKLA-Autor*innen.
PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft |ISSN: 0342-8176 | Impressum und Datenschutz