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Jahrhundertelang galt die Stadt als Inbegriff von wirtschaftlicher, politischer und vor allem kultureller Entwicklung; gesellschaftliche Dynamik war etwas, das sich vorwiegend in Städten abspielte, auch wenn die dabei ablaufenden Prozesse unterschiedlich beurteilt wurden. Bereits die biblischen bis in die Gegenwart transportierten Bilder von »Babylon« und »Jerusalem« verweisen auf diese ambivalenten Einschätzungen: Stadt als Ausdruck von moralischem Niedergang und Dekadenz oder als Verwirklichung von Kultur und Aufklärung. Mit der industriekapitalistischen Stadt des 19. Jhs. erhielt diese Dichotomie eine neue Evidenz: beinhaltete die Stadt doch auf der einen Seite technische Wunderwerke und das Versprechen von Wohlstand, Bildung und die Möglichkeit individueller Entfaltung, auf der anderen Seite aber auch das Elend des Proletariats, die Auflösung familiärer Bindungen und die Entfremdung von den natürlichen Lebensgrundlagen. Wurde das Leben in den Städten auch noch so unterschiedlich beurteilt, so war man sich doch einig in seiner zentralen Rolle für die Entwicklung der Gesellschaft. Allerdings scheint sich jetzt auch dieser Konsens aufzulösen. So proklamierte jüngst Alain Touraine das Ende der Städte. Er behauptete, daß wir nur noch »glauben, in Städten zu leben ... Doch die Stadt, die einst um die wichtigen Handlungsorte - den Palast, den Markt, die Kathedrale - wuchs, ist längst Vergangenheit « (Das Ende der Städte? Die Zeit Nr. 23, 24.5.1996). Vor allem traut er dem Städtischen nicht mehr die wichtigen sozialen Integrationsleistungen zu, die die Grundlage weiterer Entwicklung darstellen. Damit nimmt Touraine die weltweit sichtbaren Trends der inneren Auflösung des städtischen Zusammenhangs auf, von dem die Flucht der Mittel- und Oberschichten in die Vorstädte nur der deutlichste Ausdruck ist. Städte scheinen am Ende des 20. Jhs. zu bloßen Standorten zu verkommen. Die Kehrseite ihrer Einbeziehung in die sich verdichtenden globalen Prozesse ist anscheinend ihr Ende als gesellschaftliche Veranstaltung.
PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft |ISSN: 0342-8176 | Impressum und Datenschutz