Bd. 29 Nr. 114 (1999): Europa II: Währung, Sozialstaat, Arbeitsmärkte

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Europa ist ein wirtschaftlicher Riese und ein politischer Zwerg. In diesem Sinn kritisiert nicht nur der Kommissionspräsident Jacques Santer das Fehlen einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Während der europäischen Politik konsensfähige Handlungsziele nach außen fehlen, hat sich eine europäische 'Innenpolitik' im Laufe der Zeit durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, das europaweite kommunale Wahlrecht und, nicht zuletzt, durch das Schengener Abkommen sowie seit Beginn des Jahres auch durch eine gemeinsame Währung etabliert. Doch auch hier wiederholt sich das Verhältnis eines Riesen zu einem Zwerg: Das monetär integrierte Europa hat bedeutend an globalem Einfluß gewonnen, während der Kompetenzrahmen für eine europäische Politik, soweit sie nicht auf die weitere Durchsetzung von Marktmechanismen zielt, weiterhin ein gnomenhaftes Dasein führt. Die Jahrzehnte unter neoliberaler Hegemonie hinterlassen eine europäische Architektur, in der entfesselte Kapitalinteressen gegenüber der Ausweitung staatsbürgerlicher und sozialer Rechte dominieren. Europa wird von einer Administration verwaltet, die nur sehr eingeschränkt der Kontrolle durch ein gewähltes Parlament unterliegt. Und wie der jüngste Korruptionsskandal um die Europäische Kommission vor Augen geführt hat, ist das Europäische Parlament bislang ein bellender Hund, der sich rasch an die Kette national geprägter Parteiloyalitäten legen läßt. Auch die Europäische Kommission verfügt freilich nur über ein beschränktes Aktionsfeld: Sie hat die unter Berücksichtigung verschiedener Interessengruppen und des Europäischen Parlaments ausgearbeiteten Vorlagen dem Ministerrat vorzulegen, damit sie gegebenenfalls in Gemeinschaftsrecht umgesetzt werden können. Und im Ministerrat werden weiterhin national vordefinierte Standpunkte ins Verhältnis gesetzt – auf kleinstem gemeinsamen Nenner. Die entscheidenden Weichenstellungen der europäischen Politik werden nicht von demokratisch legitimierten Institutionen, sondern »intergovernemental«: auf Regierungskonferenzen vorgenommen.

Veröffentlicht: 1999-03-01