Aktueller Call

Call for Papers für PROKLA 221 (Heft 4, Dezember 2025)

Politische Ökonomie des Fußballs

Frist für Exposés: 5. Mai 2025

Schwerpunktredaktion: Svea Gruber, Philipp Köncke, Martin Krauß, Dorothea Schmidt, Ingar Solty, Felix Syrovatka

War Fußball vor 150 Jahren noch ein reiner Universitätssport, wandelte er sich doch recht schnell zu einem Massensport. Ob auf dörflichen Schafwiesen oder in städtischen Stadien – bis heute fasziniert das Fußballspiel Männer, Frauen und Kinder. In den letzten Jahrzehnten ist aus ihm jedoch ein globales Unterhaltungsprodukt, eine globale Ware geworden. Steigende Zuschauer*innenzahlen und wachsende Einschaltquoten bei Liveübertragungen zeugen davon, dass die Aufmerksamkeit für das Spiel ungebrochen ist und sich einer immer größeren Beliebtheit erfreut. Doch um das Spiel an sich geht es oft nur noch am Rande. Vielmehr hat sich rund um den Fußball eine globale Industrie entwickelt, die mit der globalen Begeisterung für den Sport enorme Profite erwirtschaftet.

In den 1990er-Jahren entfalteten Deregulierungsmaßnahmen, die zum Teil schon in den 1980er-Jahren angelegt worden waren, in Kombination mit Globalisierungs- und Vermarktlichungsprozessen ihre Wirkung. Sie sorgten nicht nur für eine beschleunigte Ökonomisierung, sondern lösten auch massive Strukturveränderungen im Fußball aus. So gründeten 1992 vierzehn englische Erstligavereine mit der Premier League eine eigene Fußball-Liga, um Sponsoren-Deals, Merchandise und vor allem die Fernsehrechte allein zu vermarkten. Angestrebt wurde eine »neue Gesellschaftsfähigkeit des Fußballs« (Uli Hoeneß). Und neue Wettbewerbe wie die Champions League, die zur Saison 1992/93 den Europapokal der Landesmeister ersetzte, steigerten den Unterhaltungswert des Sportes.

Damit wurde der Fußball attraktiver für Sponsoring und Werbekunden, deren Gelder seitdem einen großen Teil der Gesamteinnahmen der Vereine ausmachen. Um für den globalen Markt wettbewerbsfähiger zu werden, wurden Anstoßzeiten verschoben, Spieltage über die Woche zerstückelt und neue Werbeformate entwickelt, die speziell die Kundschaft in Asien und den USA ansprechen sollten. In den Stadien wurden Stehplätze entfernt und VIP-Logen gebaut, um zahlungskräftige Kundschaft anzulocken. Die Gründung des europäischen Binnenmarktes und die damit einhergehende Deregulierung infolge des Bosmann-Urteils zu Ablösen und Spielerfreizügigkeit von 1995 ließen einen weltweiten Transfermarkt entstehen, auf dem immer höhere Summen gezahlt werden. Infolgedessen globalisierten sich nicht nur die Vereine und die Zuschauer*innenschaft, auch die Ungleichheit zwischen den Vereinen wurde immer stärker.

Diese Entwicklungen lockten auch Investoren an, die bei den Vereinen einstiegen oder sie direkt aufkauften. In Deutschland, wo weiterhin an der 50+1-Regelung zur Begrenzung des Anteils von Investoren festgehalten wird, fanden die Vereine Wege, diese zu umgehen. Indem sie ihre Profiabteilungen ausgliederten, komplexe Unternehmenskonstrukte erstellten und an die Börse brachten. Fußballvereine wurden zu Spekulationsobjekten, die von Milliardären oder privaten und staatlichen Unternehmen global gehandelt werden. Milliardenschwere Investmentfonds investieren in Fußballvereine wie in Unternehmen und erhoffen, durch Umsatzwachstum und Kostensenkungen hohe Renditen zu generieren. Damit einher geht auch der Aufstieg von Multi-Club-Ownership durch Unternehmen wie Red Bull oder 777 Partners. Darüber hinaus betreiben Staaten Akquisitionen, etwa Qatar (Paris Saint-Germain) oder die Vereinigten Arabischen Emirate (FC Barcelona, Manchester City), um mittels Sportswashing ihren Ruf als blutige Diktaturen reinzuwaschen.

Dies veränderte nicht nur den Sport selbst, sondern auch die Fankultur. Während in den 1990er-Jahren Hooligans und Rechtsextreme die Tribünen dominierten, hat die Ultra-Bewegung die Tribünen als politischen Raum neu erschlossen und sich zu einem relevanten Akteur des Widerstandes gegen die Entwicklungen des »modernen Fußballs« entwickelt. Zahlreiche öffentlichkeitswirksame Aktionen seit den 2000er-Jahren belegen ihre kritische Haltung gegenüber Ökonomisierungsprozessen. Ihr Selbstverständnis als essentieller Teil des Fußballgeschehens und ihre Forderung nach Mitsprache- und Partizipationsmöglichkeiten stehen dabei in einem eklatanten Widerspruch zu den aktuellen Entwicklungen, in denen die Interessen der Fans eine immer geringere Rolle spielen und wirtschaftliche Erwägungen höher priorisiert werden.

Von den Verbänden wird diese Entwicklung gefördert und durch immer neue, größere und spektakuläre Events vermarktet. Während die UEFA mit der Champions League immer höhere Einnahmen generiert, hat der Weltfußballverband FIFA in ähnlicher Weise die Fußball-Weltmeisterschaft auf den Kopf gestellt und eine komplett neu strukturierte Club-Weltmeisterschaft auf den Weg gebracht. Mit der Entwicklung der Weltmeisterschaften zu globalen Mega-Events ist die im Weltfußball als Monopolist agierende FIFA zu einem schlagenden Beispiel für die Möglichkeit der Korruption im großen Maßstab geworden, indem hier politische Interessen, Macht von Verbänden und persönliche Suche nach maximaler Bereicherung höchst erfolgreich zusammenspielen. Ein damit eng verbundener Bereich, der ebenfalls mit viel Geld und dubiosen Praktiken verbunden ist, sind Fußballwetten und dazugehörige Skandale.

Zu dem Problemkomplex Fußball als Geschäftsfeld gehört auch, mit welchen Methoden junge Menschen als Spieler rekrutiert werden. Große Vereine sichern sich mittlerweile die Transferrechte von Kindern, die als vermeintliche Superstars der Zukunft über den Planeten geschickt werden. Auch die Arbeitsbeziehungen, in denen die Spieler sich befinden, sowie ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten sind von Interesse.

Insofern werfen die Entwicklungen im Fußball fundamentale Fragen auf, die einer kritischen historisch-sozialwissenschaftlicher Analyse bedürfen. Diese Entwicklung hat nicht nur ökonomische, sondern auch tiefgreifende soziale und kulturelle Implikationen, denen wir in der PROKLA 221 nachgehen wollen. Dazu wünschen wir uns vor allem Beiträge zu den folgenden und weiteren Fragen:

  • Wie ist die derzeitige globale Ökonomie des Fußballs aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive zu verstehen? Welche Akteure, Netzwerke, Prozesse und Konflikte können identifiziert werden? Welche Bedeutung haben die verschiedenen Investitionsformen in Fußballvereine, wenn Vereine etwa als Aktiengesellschaft mit Dividende-Erwartungen der Shareholder organisiert sind oder wenn sie nur als »Spielwiese« bestimmter Akteure fungieren?
  • Wie verändert sich die Rolle des Fußballs als Kristallisationspunkt kollektiver Identitäten im Zuge von Globalisierung, (wirtschafts-)politischen Umbrüchen und gesellschaftlicher Modernisierung?
  • Welche neuen Formen der Vergemeinschaftung und des Ausschlusses entstehen in diesem Prozess?
  • Wie manifestieren sich globale, nationale und regionale Machtungleichgewichte im Mikrokosmos des Fußballs? Welche Rückschlüsse lassen sich daraus auf größere geopolitische Dynamiken ziehen?
  • Wie verändert sich die soziale Basis des Fußballs in verschiedenen Ländern, und welche Rückschlüsse lassen sich daraus auf breitere gesellschaftliche Transformationsprozesse ziehen?
  • Welche Bedeutung hat Fußball für Phänomene wie Nationalismus, Sexismus oder Rassismus? Hat er möglicherweise ein emanzipatorisches Potenzial, das zu deren Überwindung beitragen kann und wie könnte sich dieses entfalten? Oder läuft der Zusammenhang eher umgekehrt?
  • Welche Bedeutung haben Männer und Frauen sowie Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit im Fußball?

Der vorliegende Call for Papers ruft dazu auf, die vielschichtigen Dimensionen der politischen Ökonomie des Fußballs zu ergründen und neue Perspektiven auf dieses hochaktuelle Forschungsfeld zu eröffnen. Wir laden dazu ein, theoretische und empirische Beiträge einzureichen, die diese und verwandte Fragestellungen aus historisch-sozialwissenschaftlicher Perspektive beleuchten, um unser Verständnis des Fußballs als Sport und globales Unterhaltungsprodukt zu vertiefen und zugleich neue Perspektiven auf die Dynamiken des zeitgenössischen Kapitalismus zu eröffnen.

Wir laden zur Einsendung von aussagekräftigen Exposés von ca. 2 Seiten mit einem klaren thematischen Fokus, evtl. Darlegung der Empirie und Literaturauswahl bis zum 5.5.2025 ein. Die fertigen Artikel sollen bis zum 18.8.2025 vorliegen und einen Umfang von 45.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen, Fußnoten und Literaturverzeichnis) nicht überschreiten; politische pointierte Einsprüche haben 15.000 bis 25.000 Zeichen. Siehe auch die Hinweise für PROKLA-Autor*innen.

Zusendung bitte an: redaktion [at] prokla.de