Bd. 30 Nr. 120 (2000): Ethnisierung und Ökonomie

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Das umstrittene Erd-Kunstwerk von Hans Haacke im Lichthof des Reichstages ist nun doch installiert worden. Es waren in diesem Fall weder die Kosten (375.000 DM) noch die Ästhetik (eine grüne Leuchtschrift auf einem überdimensionierten Beet), die zu heftigen Debatten im Bundestag Anlaß gaben, sondern es war vor allem die inhaltliche Aussage, an der sich FAZ wie CDU/CSU-Fraktion stießen. Die Inschrift Der Bevölkerung ist vom Künstler als gezielter Kontrapunkt zu derjenigen des Portals Dem deutschen Volke gemeint – dies aber schien den konservativen Kritikern eine Beleidigung eben dieses Volkes zu sein, und im übrigen bräuchten die Abgeordneten in dieser Hinsicht von niemandem Nachhilfeunterricht. Was CDU/CSU auf der symbolischen Ebene noch verteidigen, geben sie derzeit auf der praktischen preis. Nachdem sie jahrzehntelang unbeirrt verkündeten, Deutschland sei kein „Einwanderungsland“, ist diese Position offenbar ins Wanken gekommen, da die CDU jetzt eine „gesteuerte Zuwanderung von Ausländern einer qualifizierten, gebildeten und leistungsbereiten Mittelschicht“ anstrebt (so Berlins Innensenator Werthebach) und die CSU immerhin eine „Blue Card“, eine unbürokratisch zu erlangende befristete Aufenthaltserlaubnis für erwünschte Experten. Darin drückt sich zwar die längst überfällige Erkenntnis aus, daß man auch in Deutschland auf Einwanderung angewiesen sein wird, doch geht dies gleichzeitig mit der Hoffnung auf scharfe Selektionskriterien einher. Das individuelle Grundrecht auf Asyl, das zu Beginn der 90er Jahre schon weitgehend ausgehöhlt wurde, könnte in diesem Zusammenhang vollständig unter die Räder kommen.

Veröffentlicht: 2000-09-01