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Vor rund dreißig Jahren begingen die Khmer Rouges in Kambodscha einen der verheerendsten Völkermorde des 20. Jahrhunderts. Nachdem der von den USA gestützte General Lon Nol 1975 gestürzt wurde, meinten viele Kambodschaner, nun würden sich die Dinge für sie endlich zum Besseren wenden. Doch die bislang oppositionellen Khmer Rouges nutzte die Gunst der Stunde, um in den folgenden Jahren ihrerseits ein Terrorregime zu errichten, das zu einem kommunistischen Bauernstaat führen sollte. Alle, die diesem Ziel entgegenzustehen schienen, wurden verfolgt, eingekerkert, misshandelt, gefoltert: Studenten, Intellektuelle, Städter, aber auch Kinder, Alte und Kranke. Ein Viertel der Bevölkerung, mindestens zwei Millionen Menschen, wurden getötet, die meisten davon in Massengräbern verscharrt. Einige Kilometer von Pnomh Penh entfernt starben etwa 17.000 Menschen auf Feldern, die danach mit Tausenden von Totenschädeln und anderen menschlichen Überresten übersät waren und als „Killing Fields“ zum einprägsamen Symbol dieser Gräueltaten wurden. Massenhaftes Sterben, unvorstellbare Qualen und Leiden, an Leib und Seele zerstörte Menschen, verwüstete Landstriche und geschundene Natur: Ist all dies nur als Ergebnis des wahnhaften Wütens einer militanten Gruppe denkbar, die über Leichen ging, wenn es galt, ihre Utopie einer radikal-egalitären ländlichen Gesellschaft ins Werk zu setzen? Der Kapitalismus stellt keine Gesellschaftsform dar, deren Realisierung einem Katalog von Maßnahmen gefolgt wäre, die zuvor modellhaft auf dem Reißbrett (oder in programmatischen Schriften) entworfen und dann mit einem Schlag den bisherigen Gesellschaften übergestülpt wurden. Vielmehr haben sich kapitalistische Verhältnisse über die letzten vierhundert Jahre in einzelnen Weltregionen in langwierigen und widersprüchlichen Prozessen ausgebreitet. Auch dabei wurden das Postulat der Freiheit der Märkte und die Lehre von den segensreichen Wirkungen der Gewinnmaximierung immer wieder mit Feuer und Schwert durchgesetzt – oder massenhaftes Sterben zumindest in Kauf genommen.
PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft |ISSN: 0342-8176 | Impressum und Datenschutz