Bd. 8 Nr. 31 (1978): Bahro-Diskussion. Rationalisierung und Gewerkschaften

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So wie Rudolf Bahro die Gesellschaftsverhältnisse des realen Sozialismus in der DDR analysiert hat, so haben diese sich ihm gegenüber verhalten. Seine fast schon ein ganzes Jahr währende Verhaftung demonstriert sinnfällig die abgrundtiefe Diskrepanz zwischen der Marx-Engelssehen Sozialismusbestimmung und dem realen Sozialismus, der im Namen des Sozialismus in despotischer Willkür die Diskussion über Bedingungen und Formen sozialer Emanzipation zu unterdrücken sucht. Bahro wußte im voraus nur zu genau, daß er zum Agenten westlicher Geheimdienste gemacht würde, dennoch hat er mit seiner Person dafür eingestanden, die ,Alternative' zu veröffentlichen. Sie stellt nichts geringeres dar als den Versuch, den realen Sozialismus in seinem Wesen und seinen historischen Bedingungen zu erklären und daraus die grundsätzliche Alternative der sozialen Emanzipation zu entwickeln. Soll sein persönliches Wagnis nicht vergeblich gewesen sein, hängt dies entscheidend davon ab, in welchen Formen sein Denken aufgenommen und verarbeitet wird. Für Osteuropa können wir nur hoffen, daß seine Person nicht vereinzelt ist und der Widerstand gegen seine Verhaftung wächst. Für Westeuropa und Westdeutschland liegt es an uns selbst, ob Bahro aktuell bleibt oder vergessen wird.

Veröffentlicht: 1978-06-01