Bd. 14 Nr. 56 (1984): Ein zweiter CDU-Staat?

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Die Karikaturisten können mit der» Wende in Bonn« zufrieden sein: Birne Kohl machts möglich. Wenn von der Neuauflage eines »CDU-Staates« die Rede ist, dann höchstens in witziger Form: Was nach dem Ende des zweiten Weltkrieges eine »Tragödie« für die hochgespannten Hoffnungen auf eine radikale gesellschaftliche Veränderung war, wiederhole sich heute nur noch als »Farce« der skandalgebeutelten Kohl/Genscher-Regierung. Die Spötter haben sicher Recht, wenn sie damit auch sagen wollen, daß eine regierende CDU noch keinen CDU-Staat ausmache Wenn sich freilich dahinter die Hoffnung verbirgt, daß die »Wende in Bonn« nur einen - bald wieder korrigierten - »Unglücksfall« darstellt, dann wird der durch nichts begründete Wunsch zum Vater des Gedankens. Nun hat es sich sicherlich bis weit in die Reihen der Sozialdemokratie herumgesprochen, daß es nicht die verräterische Perfidie des liberalen Koalitionspartners war, die die sozialliberale Koalition beendete, sondern. daß die sozialdemokratische Politik in der Krise selbst an ihre Grenzen gestoßen war (V gL J. Hoffmann in PROKLA 49). Damit ist freilich noch keineswegs gesagt, daß es die neue Mannschaft für diesen unseren Staat besser richtet - und daß sie sich auch auf Dauer einzurichten vermag. Michael Th. Greven hat vor einem Jahr (Vgl. PROKLA 51) konstatiert: »Kaum irgendwo findet man ausreichende Informationen, geschweige denn Analysen und Erklärungen der politischen, ideologischen und interessenmäßigen Basis der neuen Herrschaft«. An diesem Befund hat sich bis heute nur wenig geändert. Das unbekannte Wesen CDU-Staat verführt zu Spekulationen: Skandale und personelle Querelen verleiten zu eiligen Prognosen über sein schnelles Ende; Indizien für eine neokonservativ genannte Politik im Sozial- und Bildungsbereich sind Anlaß für verzweifelten Fatalismus. Mit diesem Heft wollen wir gegen beide Formen der Spekulation zu Felde ziehen. Freilich mußten wir bei der Heftplanung feststellen, daß viele Fragen, die Greven 1983 stellte, auch heute noch nicht beantwortet werden können. Ein Anfang aber muß gemacht werden.

Veröffentlicht: 1984-09-01