PROKLA 220 |
55. Jahrgang | Nr. 2 | Juni 2025 | S. OF1-OF8
https://doi.org/10.32387/prokla.v55i219.2201
Martin
Kronauer*
Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch
Methode –
der politische Umsturz in den USA
Zusammenfassung: Wir beobachten einen politischen Umsturz in
den USA, der auf die Zerstörung von Institutionen und Rechtsstaatlichkeit
zielt. Getragen wird er vom radikalisierten Neoliberalismus der
Tech-Milliardäre und von der »Make America Great Again«-Bewegung. Zugleich
beobachten wir eine ökonomische Weltmacht, die sich ihrem Niedergang mit einer
neuformierten imperialen Politik entgegenzustemmen versucht. Beides trägt auf
den ersten Blick irrationale Züge, die gleichwohl einer eigenen Logik und
Zielstrebigkeit folgen. Diese ist nicht auf Rückschritt aus, vielmehr auf eine
Zukunft, die im Interesse einer neuen herrschenden Klasse demokratischen
Interventionen entzogen sein soll.
Schlagwörter: Demokratie, MAGA, Staatsumbau, Trump, USA
Though this
be Madness yet there is Method in’t – the Political Upheaval in the USA
Abstract: We are witnessing a political upheaval in the US that is aimed at
destroying institutions and the rule of law. It is being driven by the
radicalised neoliberalism of tech billionaires and the »Make America Great
Again« movement. At the same time, we are observing a global economic power
that is attempting to counter its decline with a newly formed imperial policy.
At first glance, both seem irrational, but they nevertheless follow their own
logic and determination. This is not aimed at regression, but rather at a
future that is to be withdrawn from democratic intervention in the interests of
a new ruling class.
Keywords: Democracy, MAGA, State Transformation, Trump,
USA
Wir beobachten seit letztem November einen
politischen Umsturz in den USA, der auf die Zerstörung des politischen
Gemeinwesens in seiner gegenwärtigen institutionellen Form zielt (vgl. Kronauer
2025; Mayer 2025). Zugleich beobachten wir eine ökonomische Weltmacht, die sich
ihrem Niedergang mit einer Wendung zu einer neuformierten imperialen Politik
entgegenzustemmen versucht. Beides trägt auf den ersten Blick höchst
irrationale Züge, die gleichwohl einer eigenen Logik und Zielstrebigkeit
folgen. Letztere ist keineswegs auf Rückschritt aus, vielmehr auf eine Zukunft,
die im Interesse einer neuen herrschenden Klasse demokratischen,
gesellschaftlichen Interventionen entzogen sein soll. Dies will ich im
Folgenden ausführen und fragen, wie sich die Allianz, die dabei am Werk ist,
charakterisieren lässt. Dabei gilt es, zunächst die nach innen gerichteten
Aktionen des Umsturzes von den nach außen gerichteten zu unterscheiden.
Angriffe auf
das politische Gemeinwesen
Was ist neu an der Trump-Politik,
im Vergleich mit der Politik von Thatcher und Reagan, der politischen
Avantgarde des Neoliberalismus in den 1980er-Jahren? Sie betrieben die
Privatisierung von Infrastruktur und den Kampf gegen Gewerkschaften und soziale
Rechte innerhalb des institutionellen Rahmens der repräsentativen Demokratien
ihrer Länder. Mit diesem Rahmen bricht die Politik der Trump-Regierung. Neu ist
darüber hinaus der ökonomische und soziale Aufstieg der Oligopole des digitalen
Kapitalismus mit ihren unterschiedlichen Aktionsfeldern und die ihnen von Trump
übertragene unmittelbare politische Macht.
Die Angriffe im Inneren erfolgen
offen, vor aller Augen, richten sich gegen staatliche Institutionen und werden
mit Mitteln geführt, die sich über alle verfassungsgesetzten Grenzen
hinwegsetzen. Trump setzt Rechte mit executive orders außer Kraft,
umgeht den Kongress und kujoniert dessen Mehrheit, bekämpft die Unabhängigkeit
der Justiz. Zwecke und Mittel der Angriffe befinden sich somit im völligen
Einklang. Die Regierung betreibt die Beseitigung von Behörden und Regeln, die –
mit welchen Mängeln behaftet auch immer – die Wohlfahrt von Bürgerinnen und
Bürgern betreffen, wie das Bildungsministerium, Behörden zum Schutz von
Konsumenten, zum Schutz vor Krankheiten und zum Umweltschutz (in den USA sowie
weltweit), die Finanzierung von Wohnungsgutscheinen, das Recht auf gerichtliche
Verfahren bei der Entscheidung über Ausweisungen. Andere Angriffe brechen den
Schutzmantel staatlicher Institutionen im Umgang mit der Nutzung persönlicher
Daten auf und eröffnen den Raubzügen privater Tech-Giganten mit einer eigens dafür
installierten, in rechtlicher Grauzone operierenden Pseudobehörde Tür und Tor,
wie im Fall der Invasion der Musk-Leute in die Steuer und Finanzbehörden.
Wieder andere Präsidialerlasse entziehen einem breiten Spektrum von
Wissenschaften und wissenschaftlichen Institutionen die finanzielle Förderung.
Die Angriffe richten sich aber
auch direkt gegen Personen und Personengruppen. Mit völkischem Furor und
entwürdigender, kettenrasselnder Zurschaustellung werden Migrantinnen und
Migranten ohne gültigen oder bei widerrufenem Aufenthaltsstatus gewaltsam aus
dem Land getrieben, widerrechtlich eingesperrt. Per Dekret spricht Trump
transgender Menschen die Existenz ab. Der Gegenschlag gegen Affirmative Action
erklärt in grotesker Verzerrung amerikanischer Geschichte weiße Amerikaner zu
Opfern rassischer Diskriminierung und befeuert somit den tief verwurzelten
Rassismus gegen Afroamerikaner in der Gesellschaft.
Die Breite, Geschwindigkeit und
Beliebigkeit der Angriffe lähmt den Widerstand, rechtliche Gegenwehr kommt
vielfach zu spät oder bleibt wirkungslos. Geradezu entwaffnend wirkt das Ausmaß
der Irrationalität gemessen an den vorgegebenen Zwecken. So stehen allein die
Kosten der Massenentlassungen quer durch Einrichtungen des öffentlichen
Dienstes (für Abfindungen, für nachträgliche Wiedereinstellungen von
unverzichtbaren Expertinnen und Experten, für Produktivitätsverluste) in
schreiendem Widerspruch zur Maßgabe der Einsparungen, unter der sie sich
rechtfertigen lassen sollten (Williamson 2025).
Dennoch gilt im Sinne
Shakespeares: »Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode«. Die Macht von
Despoten, so narzisstisch und konfus sie als Personen sein mögen, erwächst aus
den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen, die ihnen den Machtraum
verschaffen. In diesem Fall sind es zwei Hauptkräfte, die den Umsturz tragen:
der libertär+ radikalisierte Neoliberalismus von Tech-Milliardären, vormals aus
dem Silicon Valley, an der unternehmerischen Spitze der neuen digitalen
Produktivkräfte, und der Anti-Etatismus der amerikanischen völkischen Rechten
mit einer sozialen Basis überwiegend in den ländlichen Gebieten, der Kern der
Bewegung »Make America Great Again« (MAGA).
Die Verbindung von
Neoliberalismus und anti-etatistischer, rassistischer Rechten in den USA hat
eine weit vor Trump zurückgehende Vorgeschichte, die Quinn Slobodian in seinem
noch vor Trumps zweiter Amtszeit geschriebenen Buch »Hayek’s Bastards. The Neoliberal
Roots of the Populist Right« im Detail nachzeichnet. Dort findet sich auch der
Hinweis auf eine wesentliche strategische Neuorientierung der Protagonisten des
libertären Neoliberalismus bereits in den 1990er-Jahren: die Hinwendung zur
weißen amerikanischen Arbeiterklasse, um eine gegen den Staat und die sie
beherrschenden Eliten gerichtete Allianz zu bilden. »Die entscheidende
rechtsextreme (right-wing) populistische Erkenntnis besteht darin«, schrieb
einer der Protagonisten, »dass wir in einem verstaatlichten Land (statist
country) und einer verstaatlichten Welt (statist world) leben, die von einer
herrschenden Elite unterdrückt wird (dominated by a ruling elite)« (zitiert in
Slobodian 2025: 58; Übersetzung M.K.). Zur herrschenden Elite gehören demnach
Politiker, Bürokraten, die alten Konzern- und Finanzeliten, die »neue Klasse
der Intellektuellen und Technokraten«, einschließlich der
Ivy-League-Universitäten. In den 1990er-Jahren gelang es noch nicht, mithilfe
einer solchen Allianz Pat Buchanan in das Präsidentenamt zu bringen. Der
Durchbruch erfolgte erst nach der Finanzmarkt- und Immobilienkrise sowie den
sozialen Folgen der Covid-19-Pandemie mit den beiden Amtszeiten Trumps,
insbesondere der gerade andauernden zweiten. Er löste nicht die Elitenherrschaft
ab, die für die Finanz- und Immobilienkrise die Verantwortung trug, sondern
stattete im Gegenteil die reichsten Kapitalisten des neuen digitalen Zeitalters
und Verfechter eines libertär verschärften Neoliberalismus mit einer bislang
ungekannten direkten politischen Macht aus.
Das bedeutet keineswegs, dass die
Allianz zwischen der völkischen, elitekritischen MAGA-Rechten und den
marktradikalen Musk, Thiel, Bezos, Zuckerberg & Co. brüchig sein muss. Es
gilt, sich nicht über die verbindenden Kräfte zu täuschen: den politischen
Willen zur Zerstörung des Staats und zum Kampf gegen Gleichheit, insbesondere
gegen jede Form politischer »Gleichmacherei«. Das ist der Kern der Angriffe auf
DEI (diversity,
equity, inclusion). Musk, der in Anlehnung an Milei die
Kettensäge schwingt und die internationale völkische Rechte unterstützt,
verkörpert geradezu die Einheit dieser beiden Momente.
Der »progressive
Neoliberalismus«, den Nancy Fraser (2017) anprangerte, die liberale Indifferenz
gegenüber Geschlecht, sexueller Orientierung und »race«, solange die Menschen
als Arbeitskräfte und Konsumenten zur Verfügung stehen, hat in den herrschenden
tech-kapitalistischen Kreisen abgedankt, und sei es bei einigen auch »nur« aus
Opportunismus dem neuen Herrscher gegenüber, der den Zugang zu den
Fleischtöpfen regelt. Kapital ist aus Prinzip prinzipienlos. Die neue
herrschende Klasse beruft sich, sofern sie sich überhaupt über die faktische
Ausübung ihrer Macht hinaus glaubt rechtfertigen zu müssen, auf genetische
Überlegenheit. Sie ist zugleich beseelt vom Glauben an die technische
Beherrschbarkeit der Welt und der Steuerbarkeit von Gesellschaften, unter
Ausschaltung der »Irrationalität« menschlichen, politischen Handelns.
Für die kapitalistischen
Verfechter und Ausbeuter einer Welt, in der die Menschen auf Algorithmen
zugeschnitten werden, sind demokratische Verfahren nur Hindernisse (Vogl 2024;
Slobodian 2023: 20). Aus citizen
mit ihren persönlichen, politischen und sozialen Rechten sollen
Bürgerkonsumenten werden, die in marktorganisierten Enklaven ein Stimmrecht
entsprechend ihrer Aktienanteile ausüben können. In derartigen »Modellen eines
Kapitalismus ohne Demokratie« (Slobodian 2023: 295) denken Menschen wie Peter
Thiel. Solange allerdings staatliche Institutionen noch nicht radikal beseitigt
werden können, gilt es, sie umzubauen und zu plündern. Das ist die Logik der
Behörde DOGE (Department of Government Efficiency), die unter Musks
zeitweiliger Führung vor allem dem Bürokratieabbau dienen soll, und der von
Trump betriebenen Günstlingswirtschaft bei der Besetzung von Regierungsposten.
Soweit sich innerhalb der
Trump-Allianz Bruchlinien abzeichnen, ist Trump wie jeder Despot bemüht, sie zu
entschärfen. Die erste: DOGE schafft Chaos, macht alltägliche Verwaltungsakte,
die im Leben der Menschen wichtig sind, unberechenbar. Das gilt selbst für die
ungeliebte Einkommenssteuer. Sie wird nicht schon dadurch abgeschafft, dass das
Personal der Steuerbehörde ausgedünnt wird.
Die zweite mögliche Bruchlinie:
die gesetzliche Altersrente (Social
Security) und die gesetzliche Krankenversicherung für
einkommensschwache Personen (Medicaid).
Noch ist innerhalb der republikanischen Partei und zwischen Teilen der Partei
und der Trump-Administration umstritten, ob und wie weit Leistungen der beiden
Systeme eingeschränkt werden sollen. Social Security ist die am
höchsten geschätzte sozialstaatlich garantierte Versicherung, und Medicaid hat mit
der Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten im Gefolge von
»Obama-Care« für immer mehr Menschen aus der Arbeiterklasse an Bedeutung
gewonnen. Ein Angriff auf die beiden öffentlichen Leistungssysteme wäre ein
direkter Angriff auf die Lebensbedingungen von Trump-Wählern weit über den
harten MAGA-Kern hinaus (Karni 2025; Kliff/Sanger-Katz 2025).
Bislang ist nicht erkennbar, dass
aus den möglichen Bruchlinien ein herausfordernder Widerstand im eigenen Lager
erwachsen würde. Das gilt selbst für die dritte Bruchlinie, die bereits zu
offenen Konflikten geführt hat: die zwischen Protektionismus und Markradikalismus,
zwischen völliger Abschottung gegen Migration und selektiver Zulassung von
Migranten, auf die die Tech-Industrien angewiesen sind.
Angriffe auf
die Welthandelsordnung
An der Oberfläche der
Rechtfertigung durch Trump liegen die internen Angriffe gegen den Staat und die
externen gegen die Welthandelsordnung auf einer Ebene: es gelte, das Staatsund
das Handelsdefizit zu beseitigen. Im Fall des Handelskriegs rückt aber noch ein
weiteres Ziel ins Zentrum: MAGA, sein Versprechen an die Wählerinnen und Wähler
eines um die ökonomische Vormachtstellung in der Welt ringenden Landes, Amerika
wieder groß zu machen. Im einen wie im anderen Fall sind die Angriffsmittel
gewaltsam, grobschlächtig, willkürlich und mit verheerenden Nebenfolgen
behaftet.
Trumps Angriffe auf die
Welthandelsordnung sind mit einem grundlegenden Widerspruch behaftet: Sie
wollen den Dollar als globale Leitwährung erhalten (deshalb die aggressive
Reaktion gegen Vorstöße der BRIC-Staaten, eine eigene Währungskoalition zu
formen) und zugleich den Dollar abwerten, um das amerikanische Handelsdefizit
zu beseitigen (zu den daraus erwachsenden Problemen siehe das Interview von
Ezra Klein [2025] mit Gillian Tett). Das Mittel seiner Wahl: Schutzzölle.
Ökonominnen und Ökonomen
unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Denkschulen kritisieren Trumps
Übertragung des Deal-Making
aus seiner Welt des »Immobilienhais« (und mehrfachen Bankrotteurs) mittels
erpresserischer Schutzzölle auf die Weltökonomie scharf, gelegentlich
sarkastisch: die Fantasieformel, mit der die Zollhöhe bestimmt wird; ihre
globale Anwendung von China bis Lesotho; die Ignoranz gegenüber der
unterschiedlichen Wirkung von Schutzzöllen für eine im Aufbau begriffene
Industrie und eine in weltweite Lieferketten eingebundene Industrie, die
bereits ihren Zenit überschritten hat; die Missachtung verlässlicher Regeln als
Grundlage ökonomischer Transaktionen und die Gefahr der Abwendung und
geopolitischen Neuausrichtung von Handelspartnern. Die brachiale Zollpolitik
stößt auf Widerstand selbst bei Elon Musk, Tim Cook & Co. Sie wollen Schutz
vor chinesischer High-Tech-Konkurrenz, operieren ansonsten aber weltweit und
sind auf weltweite Lieferketten angewiesen. Mehr als einen Schlingerkurs hat
der Widerstand bei Trump bislang jedoch nicht ausgelöst. Selbst der
Vertrauensverlust bei Anlegern in amerikanische Staatsanleihen (ein stärkeres
Warnsignal für die Finanzmärkte als die Schwankungen am Aktienmarkt, zugleich
mit Rückwirkungen auf die Staatsverschuldung) hat bislang kaum Wirkung bei ihm
gezeigt.
Gibt es dafür eine Erklärung?
Trump liebt die Macht um der Macht willen. MAGA ist die Zauberformel seiner
Macht, und der Protektionismus ist das einzige Elixier, das er seiner
Wählerschaft anbieten kann, um die Formel wirksam werden zu lassen. Alles andere
– eine Wirtschafts- und Industriepolitik in Bidenscher Manier etwa – wäre
Verrat am anti-etatistischen Umsturz.
Es gibt berechtigte Zweifel
daran, dass der Protektionismus bewirkt, was Trump seinen Wählerinnen und
Wählern verspricht: Reindustrialisierung und geringe Inflation. Selbst wenn er
zusätzliche ausländische Investoren in traditionelle Industriebranchen anziehen
sollte, die damit die Zölle umgehen wollen, ist die Verlagerung von
Produktionsstätten ein langwieriges Geschäft, wird die arbeitsteilige
Kooperation mit Firmen im Ausland notwendig bleiben, werden die Produkte
teurer. Die geplanten Steuererleichterungen werden das Staatsdefizit vergrößern.
Und die Vorstellung, durch Zolleinnahmen die Einkommenssteuer ersetzen zu
können, ist eine Schimäre.
In jedem Fall wirkt die
Zollpolitik jedoch als Daumenschraube, um Zugang zu natürlichen Ressourcen und
zur Öffnung von Märkten zu erzwingen, beides von besonderem Interesse für die
Tech-Giganten, selbst im Fall von Lesotho, dem »Starlink« aufgezwungen werden
soll. Auch im geplanten »Deal« mit der Europäischen Union dürfte es darum
gehen, den Tech-Konzernen Marktzugang ohne Auflagen zu gewähren. Die politische
Schwächung Europas und der Schulterschluss von Musk, Vance & Co. mit der
völkischen europäischen Rechten dienen diesem Zweck.
Trumps MAGA-Politik verschafft
ihm, seiner Entourage und der neuen herrschenden Klasse der digitalen Welt- und
Weltraumeroberer Zeit und Gelegenheiten, sich ohne politische Beschränkung
maßlos zu bereichern. Jeder erfolgreiche Schritt in dieser Richtung ist ein
Signal an die Welt, die im Bann des digitalisierten Kapitalismus steht, ihm
nachzufolgen. In der Zwischenzeit bereiten sich Angehörige der neuen
herrschenden Klasse bereits darauf vor, sich vor den Folgen der Zerstörungen zu
schützen, die sie anrichten (Rushkoff 2025).
Das Ende von
Politics as Usual
Trump praktiziert Politik nach
der Carl Schmittschen Formel der Unterscheidung von Freund und Feind. Er
praktiziert sie mit Willkür, und darin liegt ihre Macht. Sie lässt sich von
denen, die ihr ausgesetzt sind, weder berechnen noch beschwichtigen. Weil sie
Regeln nicht anerkennt, lässt sie sich durch die bestehenden Regeln auch nicht
wieder einhegen. Es bedarf einer Gegenmacht, um Willkürherrschaft zu brechen.
Aber woher und in welcher Form sollte sie entstehen? Wird das obersten Gericht,
angesichts seiner Zusammensetzung und der dem Präsidenten bereits zugestandenen
Vollmachten, bereit sein, mehr als nur einzelne Korrekturen vorzunehmen? Von
einer drohenden Verfassungskrise ist die Rede. Aber liegt sie nicht längst vor?
Es mag sein, dass sich
enttäuschte Wählerinnen und Wähler bei den Zwischenwahlen von Trump wieder
abwenden. Darauf scheint die demokratische Partei zu setzen, als Selbstläufer
geradezu. Aber wohin werden sich die Enttäuschten wenden? Was hat die demokratische
Partei ihnen zu bieten? Das Besondere an der zweiten Trump-Wahl bestand ja
gerade darin, dass sie in eine Zeit relativer ökonomischer Stabilität fiel, zu
der die Biden-Regierung beigetragen hat (ganz im Unterschied zum Aufstieg
faschistischer Parteien in Europa in den 1920er- und 1930er-Jahren).
Ökonominnen und Ökonomen haben immer wieder auf die insgesamt positiven
Wirtschaftsdaten hingewiesen. Dennoch hat eine, wenn auch schwache, Mehrheit
denjenigen gewählt, der einen politischen Umsturz proklamierte (und nun in der
Tat auch durchführt). Ein Zurück zu politics as usual, selbst wenn
es möglich wäre, wird nicht ausreichen, um die Unzufriedenheit in der tief
gespaltenen amerikanischen Gesellschaft an ihren sozialen Wurzeln anzugehen.
Den Boden dafür haben auch Regierungen der Demokraten bereitet, insbesondere
mit ihren Beiträgen zur weiteren Entfesselung der Finanzmärkte (Clinton) und
der Schwäche ihrer Reaktion auf die Folgen der Finanzmarktkrise von 2008
(Obama). Ihre Basis unter den Verlierern der Globalisierung hat die
demokratische Partei weitgehend eingebüßt. Politics as usual wird sie
nicht zurückgewinnen. Ernsthafte Versuche, unter amerikanischen Wählerinnen und
Wählern überhaupt wieder einen Boden für Widerstand gegen den politischen
Umsturz zu bereiten, gehen deshalb vom Rand oder von außerhalb der
Demokratischen Partei aus (Sanders, Ocasio-Cortez). Und ein bloßes Zurück
könnte die Angriffe auf das politische Gemeinwesen nicht abwehren, die von den
Protagonisten einer digitalen Zukunft unter ihrer Herrschaft ausgehen.
Literatur
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neue Linke oder: Das Ende des progressiven Neoliberalismus. In: Blätter für
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Kliff, Sarah / Sanger-Katz,
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Mayer, Margit (2025): Die USA am
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Rushkoff, Douglas (2025): Prepper
mit Milliarden. Das Mindset der Tech-Elite. In: Blätter für deutsche und
internationale Politik 2/25: 79-86. URL: https://www.blaetter.de,
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Slobodian, Quinn (2023):
Kapitalismus ohne Demokratie. Wie Marktradikale die Welt in Mikronationen,
Privatstädte und Steueroasen zerlegen wollen. Berlin.
– (2025):
Hayek’s Bastards. The Neoliberal Roots of the Populist Right. London.
Vogl, Joseph (2024): »Elon Musk
ist eine Charaktermaske«. Ein Spiegel-Gespräch von Tobias Rapp, Philipp Oehmke
und Andreas Bernard. In: DER SPIEGEL 49/2024. URL: https://www.spiegel.de,
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Williamson, Elizabeth (2025):
What Elon Musk Didn’t Budget For: Firing Workers Costs Money, Too (24.4.). URL:
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* Martin Kronauer ist
Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der PROKLA.