PROKLA 218 | 55. Jahrgang | Nr. 1 | März 2025 | S. OF 1-OF 6
https://doi.org/10.32387/prokla.v55i218.2174

Martin Kronauer*

Was die Wahl Trumps bedeutet

Versuch einer ersten Bilanz in fünf Lektionen

Zusammenfassung: Aus Donald Trumps Wiederwahl lassen sich fünf Lehren ziehen, die es zu begreifen gilt: Dass es möglich ist, eine Demokratie demokratisch durch Wahlen abzuschaffen; dass Trump gewählt wurde, nicht obwohl, sondern weil seine Kampagne an die bösartigsten Elemente der amerikanischen Geschichte und Gesellschaft anknüpfte; dass es ihm gelang, Wähler der unteren Klassen mit den Verfechtern eines rücksichtslosen Marktradikalismus zusammenzuspannen; dass dabei die Manipulation von Emotionen eine von der akademischen Linken oft unterschätze Rolle spielte; dass mit der Allianz Trump/Musk Protagonisten einer neuen Stufe kapitalistischer Modernisierung an die Macht gekommen sind.

Schlagwörter: Demokratie, Emotionen, Marktradikalismus, Trump, USA

What Trump’s Election Means

An Essay on Taking Initial Stock in Five Lessons

Abstract: There are five lessons already to be learned from Donald Trump’s re-election which still have to be fully understood: firstly, it is possible to destroy democracy with democratic means (majorities in an election); secondly, Trump was re-elected not in spite of his campaign of hate and discrimination, but by means of it; thirdly, Trump successfully linked in the election an electorate from the working and middle classes to upper-class representatives of ruthless market radicalisation; fourthly, this was possible not least by the mobilization of emotions (often underestimated by the academic left); finally, with the alliance Trump/Musk protagonists of a new stage of capitalist modernization came to power.

Keywords: Democracy, Emotions, Market Radicalism, Trump, USA

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Am 6. November 2024 schrieb Peter Baker in der New York Times: »Zum ersten Mal in der Geschichte haben die Amerikaner einen verurteilten Kriminellen zum Präsidenten gewählt. Sie haben jemanden wieder an die Macht gebracht, der versucht hat, eine frühere Wahlentscheidung auszuhebeln, der gefordert hat, die Verfassung außer Kraft zu setzen, um sein Amt behalten zu können, der erklärte, er werde am ersten Tag nach der Wahl ein Diktator sein, und der gelobte, Vergeltung an seinen Gegnern zu üben«.1 Mit anderen Worten: Die Mehrheit der amerikanischen Wählerinnen und Wähler nahm sich die Freiheit, einen Mann zu ihrem »leader« zu machen, der versprach, das politische Gemeinwesen, auf das sich ihre Freiheit gründen sollte, zu zerstören. Das ist die erste Lektion, die festgehalten und erst noch in ihrer ganzen Bedeutung für die Gegenwart begriffen werden muss.

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Donald Trump wurde nicht trotz, sondern wegen der Obszönitäten, der Frauenfeindlichkeit, der Homophobie, des Rassismus, der Demokratieverachtung, die er zur Schau gestellt hat, gewählt. Er trat im Gestus des Regelbrechers und des Rebellen gegen das intellektuelle New York und das politische Washington auf. Das wurde honoriert, und dies ist die zweite Lektion, die es zu begreifen gilt. Kommentatoren, die Trump wahlkämpferisches Geschick bescheinigen und in ihm den gewieften Showmaster sehen wollen, täuschen über den moralischen Abgrund hinweg, den die Wahl offenbart. Richard Sennett spricht es dagegen aus: Trump »weckt die dämonischen Eigenschaften der Menschen«.2 Er knüpft dabei an die bösartigsten Elemente – den Rassismus, die Gewalttätigkeit, die Selbstjustiz, die Bigotterie, Korruption und den politischen Zynismus– in der amerikanischen Geschichte an. Es wäre jedoch naiv, anzunehmen, dergleichen wäre in Europa nicht möglich.

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Unter der Tarnkappe einer Rebellion gegen die »Eliten« hat die Trump-Kampagne eine auf den ersten Blick unwahrscheinliche Koalition zustande gebracht: zwischen Millionen unzufriedener Wähler aus den mittleren und unteren Klassen und den Vorkämpfern einer neuen Stufe der rücksichtslosen Marktradikalisierung. Dass dies möglich wurde, ist die dritte Lektion. Wie ist das gelungen?

Durch die Mobilisierung eines in den USA tief verwurzelten Affekts gegen den Staat, insbesondere den Zentralstaat. Die »Eliten«, das sind demzufolge in erster Linie die Repräsentanten des politischen Washington. Trump hat es geschafft, die Demokraten mit einer »Elite« zu identifizieren, die fernab von der Bevölkerung den Ausverkauf Amerikas betreiben würde – an die Migranten, an die Chinesen, an Europa. Die Demokraten wollten und konnten den Spieß nicht ohne Weiteres umdrehen und brandmarken, dass sich hier ein Milliardär, Immobilienspekulant, Steuerflüchtling, mehrfacher Bankrotteur als Sprecher des gemeinen Volkes aufspielt. Denn Reichtum gilt in den USA nicht als Makel, sondern als Zeichen von Erfolg in der Verfolgung des amerikanischen Traums; Steuern zahlen zu müssen, gilt vielen Amerikanerinnen und Amerikanern nicht als Verpflichtung dem Gemeinwesen gegenüber, dessen Teil man ist, sondern als Zeichen von Unfreiheit. Der Mythos der Gründerzeit wirkt in einem cultural lag noch immer im US-amerikanischen Bewusstsein nach, obgleich ihm schon lange die Grundlage in den gesellschaftlichen Verhältnissen entzogen wurde.

Die Demokraten konnten aber auch deshalb nicht auf die Karte einer Kritik an den ökonomischen Eliten setzen, weil ihre Repräsentanten ihrerseits dieser Elite angehören. Als Hillary Clinton nach ihrer damaligen Wahlniederlage über die Wählerinnen und Wähler von Trump als »deplorables« sprach, also als »Erbärmliche«, drückte sie nicht nur ihre tiefe persönliche Verachtung aus, sondern auch die zunehmende Distanz ihrer Partei zu ihrer früheren Stammwählerschaft. Obamas Kampagne war zuvor in der Lage gewesen, die Stammwählerschaft noch einmal zu mobilisieren; Bidens Kampagne lebte noch von der Ablehnung der Person Trumps; Harris gelang es hingegen schon nicht mehr in ausreichendem Maße, die Stammwählerinnen und -wähler zu erreichen, obwohl Biden sich auf die Seite der Gewerkschaften und der Streikenden gestellt hatte, und trotz seiner Wirtschafts- und Industriepolitik, die Früchte zeitigte. Bei den hohen Einkommensgruppen indes erreichte sie höhere Zustimmungswerte. Die Enttäuschung und Abwendung von den Demokraten spielten letztlich eine entscheidendere Rolle als die Hinwendung zu Trump.3 Er gewann rund drei Millionen Stimmen hinzu, während Harris sechseinhalb Millionen Stimmen im Vergleich zur Wahl Bidens 2020 verlor. Die Wahl zeigte auch, dass sich die politische Klassenspaltung entlang von Bildungsabschlüssen vertieft hat.

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Die Bedeutung von Affekten und deren Mobilisierung ist die vierte Lektion der Wahl. Dabei kam neben und in Verbindung mit dem Anti-Etatismus und dem amerikanischen Mythos der Mobilisierung von Ängsten, gepaart mit dem Versprechen einer nationalistischen Heilung, eine entscheidende Rolle zu. Trump hat mit Lügen und Hetze gezielt Ängste geschürt. Sie konnten ihre zersetzende Wirkung in einer bislang unvorstellbaren Weise entfalten, weil mittlerweile ein großer Teil der amerikanischen Bevölkerung seine Informationen aus den selbstreferenziellen, auf Profit durch Verstärkereffekte abzielenden sozialen Medien bezieht. Die Angstkampagne und das Heilsversprechen dockten insbesondere bei Menschen an, die unter der Inflation gelitten haben und bei denen, wie sie sagen, auch der Wirtschaftsaufschwung finanziell nicht angekommen ist;4 bei Wählerinnen und Wählern, die, selbst mit einer Migrationsgeschichte, angesichts prekärer Erwerbsbedingungen die Unterbietungskonkurrenz durch Migrantinnen und Migranten fürchten; bei Menschen, die den Folgen der Globalisierung mehr ausgesetzt sind, als sie davon profitieren (schon bei der ersten Wahl Trumps haben ökonomisch im Aufwind befindliche Regionen eher für die Demokraten gestimmt). Selbst von traditionell demokratischen Wählergruppen (Hispanics, Afroamerikaner) konnte Trump Stimmen abziehen.

Die Bedeutung von Affekten und deren Mobilisierung wird in der akademischen Linken unterschätzt. Sie neigt dazu, einer marxistisch verbrämten, ökonomistischen Variante von rational choice anzuhängen, wenn von »Interessen« die Rede ist, und deshalb allenfalls auf den »ökonomisch« bereiteten Resonanzboden zu blicken, nicht aber auf die Emotionen selbst. Diese Schwäche wurde bereits in den 1930er-Jahren beim Aufstieg der Nazis offenbar und unter anderem von Ernst Bloch, Wilhelm Reich, Ernst Niekisch (Autor des Buchs Das Reich der niederen Dämonen) und den Exilanten des Kreises um Max Horkheimer thematisiert. Der Grund für die Unterschätzung liegt nahe: Es verbietet sich einer der Aufklärung verpflichteten Linken, ihrerseits auf die Manipulation von Emotionen zu setzen. Eva Illouz hat in ihrem wichtigen Buch Undemokratische Emotionen die Ausbeutung und Wirkung der Affekte Angst, Abscheu, Ressentiment, Patriotismus beispielhaft am Fall Israel und der Unterstützung, die Netanjahu ausgerechnet bei den am meisten diskriminierten jüdischen Bevölkerungsgruppen genießt, aufgezeigt und dabei immer wieder auf Parallelen zu Trump hingewiesen.

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Die Ankündigungen Trumps bei der Wahl sind ernst zu nehmen. Das Tempo, mit dem er noch vor seiner Amtseinführung seine Kandidaten für Schlüsselpositionen in der Regierung benennt und die charakterliche und qualifikatorische Auswahl, die er dabei trifft, erinnern an das Tempo, mit dem die Nazis in den ersten Monaten nach der Machtübergabe entscheidende und irreversible Weichen gestellt haben. Die anvisierten Weichenstellungen zielen auf die Destruktion und Plünderung föderaler Strukturen und zugleich auf eine neue Stufe der kapitalistischen Moderne. Das ist die fünfte Lektion, die in ihren Konsequenzen noch nicht absehbar ist.

Wie kein Präsidentschaftsbewerber der jüngeren amerikanischen Geschichte zuvor hat sich Trump bereits im Wahlkampf mit Milliardären verbunden, die ausdrückliche Verfechter eines jeder demokratischen Kontrolle entzogenen Kapitalismus sind. Peter Thiel und Elon Musk propagieren und praktizieren einen Neoliberalismus auf erweiterter Stufenleiter. Quinn Slobodian hat sie und ihresgleichen in seinem Buch Kapitalismus ohne Demokratie unter die analytische Lupe genommen. Die Allianz von Trump und Musk personifiziert geradezu den politischen Willen zu einer radikalen, anti-sozialen Modernisierung, der Entfesselung der Produktivkräfte des digitalen Zeitalters, befreit von allen politischen Beschränkungen der Profitmacherei. Diese Allianz ist offen für Erweiterungen. Mark Zuckerberg dürfte bei seiner Unterwerfungsgeste bei Trump mit der Versicherung belohnt worden sein, dass von dessen Seite keine regulatorischen Eingriffe in das Meta-Imperium drohen. Jeff Bezos wird sich aus ähnlichen Gründen dem Chor der Lobpreisung Trumps angeschlossen haben.

Stringenz ist Trumps Sache dabei allerdings nicht. Seine erst kürzlich entdeckte Liebe zur Elektromobilität (Musk) hindert ihn nicht daran, auch seine alte Liebe zum Verbrennungsmotor und zur Öl- und Gasindustrie zu pflegen. Ob und welche Interessenkollisionen sich daraus ergeben, wird sich erst zeigen. Schon jetzt signalisieren einige Unternehmen und Bundesstaaten, dass sie keineswegs auf die von Biden angeschobene Unterstützung einer ökologischen Transformation verzichten wollen. Ebenfalls wird sich zeigen, wie sich die Ankündigung von Schutzzöllen, um die Wählerschaft zu bedienen, mit dem Bündnis verträgt, das Trump mit Musk und den Marktextremisten eingegangen ist.

Absehbar aber ist bereits, dass mit der angekündigten Berufung von Musk zum Leiter einer eigens zu schaffenden Behörde für »Regierungseffizienz« und mit der Auswahl offenkundig ungeeigneter, aber loyaler Personen für eine Reihe von Ministerien (darunter Gesundheit, Bildung) deren Um- und Abbau bis zur Unkenntlichkeit angestrebt wird. Dem könnten insbesondere Sozialprogramme zum Opfer fallen, die auf zentralstaatliche Finanzierung oder Teilfinanzierung angewiesen sind und bislang der Bevölkerung mit niedrigen Einkommen zugutekommen. Das föderale System der USA mit der im Vergleich zu Deutschland weit größeren Eigenständigkeit der einzelnen Bundesstaaten wird vermutlich dazu führen, dass in den demokratisch regierten Staaten die Folgen weniger durchschlagen als in den republikanischen und die regionale Ungleichheit insgesamt somit noch zunimmt. Vor allem aber eröffnet die von Trump anvisierte »Regierungseffizienz« Tür und Tor für die Plünderung nationalstaatlicher Ressourcen durch seine Entourage. Auf diese naheliegende Möglichkeit weist beispielsweise die Nominierung eines Vertrauten von Musk, der schon jetzt mit seinem Unternehmen und im Auftrag der NASA die Eroberung des Weltraums betreibt, zum Chef der NASA hin.

Schließlich und endlich richtet sich die Personalpolitik Trumps daran aus, Schlüsselpositionen der Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden mit Gefolgsleuten zu besetzen (etwa das FBI), um die eigene Macht abzusichern und, mit der vom Supreme Court bereitwillig zugestandenen freien Hand, die Option zu haben, Widersacher zu bedrohen oder die angekündigte Vergeltung zu praktizieren. Das alles wird nicht ohne Widerstände aus Justiz, Verwaltungen, möglicherweise auch der eigenen Partei stattfinden können, aber die Machtverhältnisse sind selbst für die USA mit ihrer ohnehin schon starken Position des Präsidentenamts auf dramatische Weise verschoben.


1 »›Trump’s America‹: Comeback Victory Signals a Different Kind of Country«, https://www.nytimes.com/ (6.11.2024), Übersetzung M.K.

2 »Donald Trump ›weckt die dämonischen Eigenschaften der Menschen‹«, https://www.fr.de/ (22.11.2024).

3 Eine ausführliche Kritik von Gabriel Winant an der Politik der Demokratischen Partei findet sich unter den Titel »Exit Right« in Dissent: https://www.dissentmagazine.org/ (8.11.2024). Für den Hinweis danke ich Till Kadritzke. Siehe auch Nat Cohn: »How Democrats Lost Their Base and Their Message«, https://www.nytimes.com/ (25.11.2024).

4 Dass die makroökonomischen Erfolgszahlen wenig darüber aussagen, wie sich die Einkommens- und Lebensbedingungen für die Menschen in den immer ungleicher werdenden USA entwickeln, zeigte Karen Petrou bereits ein Jahr vor den Wahlen in einem Gastbeitrag für die New York Times mit dem Titel »Why Voters Aren’t Bying Biden’s Boast About Bidenomics«, https://www.nytimes.com/ (16.11.2023).

*Martin Kronauer ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der PROKLA.