Bd. 13 Nr. 53 (1983): "Das Leben geht weiter!" Verarbeitungsformen der kapitalistischen Krise

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»So oder so, die Erde wird rot«, sang ein Liedermacher noch vor wenigen Jahren. Entweder der atomare Holocaust oder die Hoffnung auf eine menschenwürdige, sozialistische Gesellschaft. Aber die Balance von Angst und Hoffnung, stimmt sie noch? Der Wettlauf zur atomaren Vernichtung ist weiterhin ungebrochen, wo aber sind die Zeichen, daß wir einer sozialistischen Gesellschaft näher kommen? Und seien es auch nur kleine. Elektrifiziert und mit immer mehr Kernenergie verkabelt haben wir unsere Gesellschaften ja schon.
Bleibt vielleicht noch der 'Überbau': unsere Köpfe und unsere Praktiken und Institutionen, die mit dem Kopf, dem Bewußtsein und damit mit unserem Handeln zu tun haben. Gibt es da Anzeichen, daß wir uns einer menschenwürdigeren Gesellschaftsordnung nähern? Erinnern wir uns - unserer eigenen Theorien. Bald 15 Jahre ist es her, da gab es in den kapitalistischen Gesellschaften Westeuropas einen offenen Widerstand gegen die vorherrschenden ökonomischen, sozialen und auch kulturellen Verhältnisse. Diese von Arbeitern und Studenten getragene Bewegung (wir nannten die Bewegungen damals noch mit ihrem Namen) fand zu Zeiten statt, da das Kapital kräftig verdiente und es den Lohnabhängigen gelang, ihren Teil am Kuchen zu behaupten, wenn nicht gar zu verbessern. Damit wurde ein Kernbestandteil marxistisch-leninistischer Theorien augenscheinlich hinfällig: die Verelendungstheorie. Die Theorie, die besagte, 'je schlechter es den Menschen material} geht, um so fortschrittlicher werden ihre Köpfe', sie verelendete angesichts der faktischen Entwickung. Angesichts der damaligen ökonomischen Prosperität (dieser elendigliche Kapitalismus mwollte einfach nicht in seinem letzten Stadium dahinsiechen) entwickelten wir neue Erklärungsansätze: 'Wenn es den arbeitenden Menschen materiell besser geht, dann wird der ökonomische (Lohn-) Kampf ergänzt durch den Kampf um qualitative Forderungen, um Forderungen nach Arbeiterkontrolle' (vgl. PROKLA 3/1972). Gleichzeitig sahen wir, daß der Staat in vielfältiger Weise in den Prozeß der Kapitalakkumulation eingriff (und wir bemühten uns, dies logisch-historisch »abzuleiten«), daß er als handelnde Instanz und zugleich als historisches Ergebnis der Gesellschaft bemüht war, die Kosten gesellschaftlicher Konflikte zu minimieren. In Zeiten der Prosperität hieß dies: kleine ökonomische Zugeständnisse bei großer sozialer Integration der Arbeiterklasse. Die SPD besorgte das Geschäft (und wir warnten).

Veröffentlicht: 1983-12-01