Über die Zeitschrift

Die PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft ist eine deutsche Peer-Review-Zeitschrift, in der seit 1971 Themen aus den Bereichen der Politischen Ökonomie, der Politik, Sozialgeschichte und Soziologie bearbeitet werden. Im Zentrum stehen dabei gesellschaftliche Machtverhältnisse, Polarisierungen im internationalen System und das gesellschaftliche Naturverhältnis. Die Hefte werden jeweils nach thematischen Schwerpunkten zusammengestellt.

PROKLA – oder wie ist heute eine linke, wissenschaftliche Zeitschrift möglich?

Michael Heinrich*

Daß PROKLA einmal das Akronym von „Probleme des Klassenkampfs“ war, wissen wahrscheinlich nur noch ältere Leser und Leserinnen. In Berlin 1971 als „Probleme des Klassenkampfs. Zeitschrift für politische Ökonomie und sozialistische Politik“ gegründet, war PROKLA gleich in mehrfacher Hinsicht ein Produkt der 68er Bewegung: nicht nur die inhaltliche Ausrichtung, die sich in der Emphase des Titels niedergeschlagen hatte, auch die Umstände, die zur Gründung der Zeitschrift führten, waren für die damalige Zeit wohl nicht untypisch.

Bis 1970 hatten in der Zeitschrift „Sozialistische Politik“ (kurz: SoPo) noch verschiedene Fraktionen der „Neuen Linken“ zusammengearbeitet. Mit der zunehmenden „Parteiorientierung“ war dies aber nicht mehr so ohne weiteres möglich; es sollte ja schließlich Klarheit herrschen, wo die „führende Partei der Arbeiterklasse“ zu suchen sei. Eine an der SEW/DKP orientierte Fraktion sicherte sich durch die Gründung einer GmbH das Eigentum an Namen und Vertrieb der SoPo, die dann allerdings nach wenigen Jahren einging.

Der Mehrheit der Redaktionskonferenz, die mit dieser neuen Linie keineswegs einverstanden war, blieb nur noch der Auszug und die Neugründung einer eigenen Zeitschrift – der PROKLA. Zwar bewahrte PROKLA stets die Distanz zu den diversen Parteigründungen (neben der DKP gab es noch eine Fülle maoistischer „ML“-Zirkel) und deren gesellschaftlichen Vorbildern, waren es nun die Sowjetunion, China oder Albanien. Doch der Bezug zur Marxschen Kritik der politischen Ökonomie und die Orientierung auf eine im Entstehen begriffene revolutionäre Bewegung – die man aufgrund der Erfahrung der Studentenbewegung und der spontanen Streiks meinte auch in Westdeutschland feststellen zu können – standen außer Zweifel.

So wurde denn auch im Editorial der ersten Nummer der PROKLA als Ziel formuliert, mit den Analysen der Zeitschrift „Elemente einer Taktik des revolutionären Kampfes für die Gegenwart zu gewinnen“. Die linken Intellektuellen sollten anhand der Marxschen Theorie die Antwort auf die theoretischen Fragen geben, die im Zusammenhang mit den Klassenkämpfen aufgeworfen wurden. Auf diese Weise sollte die revolutionäre Bewegung unterstützt und der eigene Beitrag zum Klassenkampf geleistet werden. Zwar sah sich dieses Programm mit allerhand theoretischen Problemen konfrontiert, der Marxismus mußte überhaupt erst von Dogmatisierungen und Entstellungen befreit und „rekonstruiert“ werden, die Analyse der gegenwärtigen Kapitalbewegung unternommen und auf ihre Konsequenzen hin abgeklopft werden.

Doch das politische Ziel – Sozialismus – und der soziale Träger der gesellschaftlichen Veränderung – die Arbeiterklasse – standen außer Frage. Und tatsächlich wurde „Probleme des Klassenkampfs“ auch breit rezipiert: nicht nur von Studenten, auch von Gewerkschaftern, Lehrern, Sozialarbeitern. In den 70er Jahren mußten einige Hefte ein zweites Mal aufgelegt werden und Auflagenhöhen von 10 000 und mehr waren keine Seltenheit. Organisatorisch wurde die Zeitschrift von einem noch heute bestehenden Verein getragen und finanziell gefördert.

Die meisten Mitglieder dieses Vereins waren in thematisch ausgerichteten Redaktionskollektiven organisiert und an der Produktion der Zeitschrift beteiligt. PROKLA war nicht nur eine Zeitschrift für eine linke Bewegung, sie war zu Anfang der 70er Jahre auch zu einem guten Teil Produkt eben dieser Bewegung und kollektiv geführter Diskussionen. Bereits in der Mitte der 70er Jahre hatten sich zwar nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse, aber die Erwartungen und Hoffnungen, die die Linke hegte, radikal geändert. Daß in absehbarer Zeit revolutionäre Entwicklungen eintreten würden, glaubten nur noch sektiererische Grüppchen. Von einer revolutionären Arbeiterbewegung war zumindest in den kapitalistischen Metropolen nichts zu bemerken, stattdessen entwickelten sich neue gesellschaftliche Bewegungen, vor allem die Frauenbewegung und die Ökologiebewegung. Die enttäuschten Hoffnungen und die Auflösung politischer Zusammenhänge führten bei vielen ehemaligen Linken nicht nur zur Resignation, sondern auch zur Absage an den Marxismus oder auch an theoretische Anstrengungen überhaupt. Zwar machte die PROKLA solche Wendungen nicht mit, sondern hielt auch weiterhin am emanzipatorischen Anspruch kritischer Gesellschaftstheorie fest, doch blieb die veränderte Situation auch für das Projekt PROKLA nicht ohne Auswirkungen. Dies machte sich zum einen äußerlich geltend: bereits ab Heft 22 (1976) erschien auf dem Titelblatt nur noch das (geläufig gewordene) Kürzel PROKLA mit dem Untertitel „Zeitschrift für politische Ökonomie und sozialistische Politik“: die mit dem ursprünglichen Titel verbundene Emphase erschien inzwischen anachronistisch. Es veränderte sich aber auch die personelle Basis: zwar gab es noch einen großen Kreis von Personen, die sich auf die PROKLA bezogen, aber die meisten Redaktionskollektive schliefen ein und die Zeitschrift wurde vor allem von der Redaktion gestaltet. Der ehemals breite Unterbau begann sich zu verflüchtigen.

Gleichzeitig erweiterte sich allerdings das bearbeitete Themenspektrum. Politökonomische Fragen spielten in der PROKLA zwar nach wie vor eine wichtige Rolle, doch wurden nun auch andere Bereiche wie etwa die Ökologie (Heft 34, 1979) bearbeitet. Die thematische Erweiterung war allerdings keine modische Anpassung, die Orientierung an der Marxschen Theorie blieb nach wie vor bestehen. Doch wurde diese nun nicht mehr einfach als Leitfaden vorausgesetzt, sondern selbst problematisiert (z. B. in Heft 36, 1979 zur „Krise des Marxismus“). Die Zeit der Gewißheiten war endgültig vorbei. Die Tendenzen der späten 70er Jahre setzten sich auch in den 80er Jahren fort. Auf der einen Seite wurde das Themenspektrum weiter ausgefächert. Neben den eher „klassischen“ Themen wie Weltmarkt, Gewerkschaften und Staat erschienen auch Hefte über Intellektuelle (Nr. 70), über die Macht des Wissens (Nr. 78) oder über Chaos und Selbstorganisation (Nr. 88) und immer wieder wurden zentrale Konzepte marxistischer Theorie wie Klasse, Krise, Staat oder die Wert- und Geldtheorie einer kritischen Diskussion unterzogen (vergl. z. B. die Hefte 50, 57, 58, 63, 72).

Auf der anderen Seite agierte die Redaktion aber weitgehend abgelöst von politischen Bewegungen. Aus einem politischen Projekt mit wissenschaftlichem Anspruch war eine wissenschaftliche Zeitschrift mit politischem Anspruch geworden.

PROKLA wird heute noch immer von der „Vereinigung zur Förderung der Kritik der politischen Ökonomie“ herausgegeben, einem eingetragenen Verein mit knapp 50 Mitgliedern, von denen ein großer Teil früher selbst einmal in der Redaktion mitgearbeitet hat. Durch die regelmäßigen Beitragszahlungen der Mitglieder wird ein großer Teil der Redaktionsarbeit finanziert. Da der Verein außer den Erstattungen des Verlags keine weiteren Zuwendungen erhält, sind diese Mitgliedsbeiträge für das Erscheinen der Zeitschrift unverzichtbar. Gleichzeitig stellen sie auch deren Unabhängigkeit sicher: da PROKLA weder öffentliche Gelder noch Zuwendungen von Parteien, Organisationen oder einem Mäzen erhält, gibt es auch keine noch so subtile Einfluß- oder Rücksichtnahme.

Gemäß der Satzung wählt die Mitgliederversammlung der Vereinigung einmal im Jahr die Redaktion und legt die Themenschwerpunkte der nächsten Hefte fest. Tatsächlich wurden diese Jahresversammlungen in den letzten Jahren aber nur von wenigen Mitgliedern besucht, so daß die Redaktion weitgehend selbständig agieren muß. Die meisten Redakteure sind bereits seit mehreren Jahre in der Redaktion. Zwar wurden auch immer wieder neue Mitglieder in die Redaktion gewählt, doch war die Fluktuation in den letzten sechs oder sieben Jahren insgesamt recht gering. Ausnahmslos kommen die Redaktionsmitglieder aus dem akademischen Bereich und sind in Berlin ansässig. Der größte Teil arbeitet an Hochschulen oder hat dort gearbeitet; von den Fächern her überwiegen Ökonomie, Soziologie und Politologie. Die Redaktion konzipiert die Heftschwerpunkte, sie formuliert Fragestellungen und stellt zu jedem Schwerpunkt einen kleinen Themenkatalog zusammen. Die Schwerpunkte der beiden nächsten Hefte werden im gerade erscheinenden Heft angezeigt. Zwar lädt die Redaktion zur Einsendung von Manuskripten ein, doch ist die Zahl der auf diese Weise eingehenden Texte nicht allzu groß. Die meisten Artikel kommen aufgrund konkreter Anfragen der Redaktion bei potentiellen Autoren und Autorinnen zustande. Außerdem werden interessante Aufsätze aus ausländischen Zeitschriften übersetzt.

Einmal im Jahr findet – normalerweise in Nordrhein-Westfalen – in Zusammenarbeit mit der Humanistischen Union eine Arbeitskonferenz der PROKLA statt. Autoren (aber nicht nur die) können dort ihre Thesen zu den Schwerpunktthemen von einem oder zwei Heften vorstellen und mit der Redaktion, Vereinsmitgliedern und weiteren Interessenten diskutieren. Diese Konferenzen dienen nicht nur der Außendarstellung der PROKLA, sie stellen vor allem auch einen wichtigen Kontakt zwischen Lesern, Autoren und Redaktion her.

Da es längst keine eindeutig bestimmte Bewegung mehr gibt, auf die sich die PROKLA beziehen könnte, ist es für die Redaktion nur schwer nachvollziehbar, inwieweit die publizierten Hefte auch auf ein Bedürfnis treffen. Seit Mitte der 80er Jahre nahm die verkaufte Auflage ab oder stagnierte. Im Zeitalter des Fotokopierers sind diese Absatzzahlen zwar kein sehr verläßlicher Indikator für die Wirkung einer Zeitschrift, aber etwas frustrierend wirkt eine solche Entwicklung auf diejenigen, die eine Zeitschrift machen, schon. So warf schließlich die Redaktion in einem „Brief an die Leser“ (Nr. 81, 1990) die Frage auf, ob es denn überhaupt noch Sinn mache, die Zeitschrift fortzuführen, ob PROKLA noch als ein wichtiges und unterstützenswertes Projekt begriffen werde. Daraufhin erreichten uns eine ganze Reihe von Zuschriften, die sich allesamt für die Fortsetzung der Zeitschrift aussprachen. Das Bedürfnis nach PROKLA war offensichtlich noch da und nach dem im Jahr 1993 erfolgten Verlagswechsel sind auch die Verkaufszahlen seit langem zum ersten Mal wieder gestiegen.

Mit der oben angesprochenen Gewichtsverlagerung von einem politischen „Bewegungs“-Projekt hin zu einem wissenschaftlichen Projekt mit politischem Anspruch war auch eine Veränderung dessen verbunden, was als „politischer Anspruch“ begriffen wurde. Längst ging es nicht mehr um die „Taktik des revolutionären Kampfes“. In dem Maße wie die Konturen eines klar bestimmten Adressatenkreises verschwammen und auch das politische Ziel an (allerdings auch früher nur scheinbar vorhandener) Eindeutigkeit verlor, konnte es nicht mehr darum gehen, fertige Antworten in Zusammenhang mit einer klar bestimmten politischen Strategie zu produzieren. Auch die Redaktion selbst ist politisch alles andere als ein einheitlicher Block und soll es auch gar nicht sein.

Daß weder Redaktion noch Zeitschrift eine genau definierte politische (oder gar parteipolitische) Linie vertreten, heißt aber nicht umgekehrt, daß die politischen Positionen nun völlig beliebig geworden seien. Nach wie vor ist die Kritik am Kapitalismus aktuell, dessen soziale und ökologische „Folgekosten“ weltweit von der Mehrheit der Menschen in Gestalt von schlechten Lebensbedingungen, Gesundheitsgefährdungen und politischer Repression bezahlt werden müssen. Doch genausowenig wie sich diese Kritik allein auf „das Kapitalverhältnis“ reduzieren läßt, sondern die Komplexität moderner kapitalistischer Gesellschaften mit ins Kalkül einbeziehen muß, läßt sich heute noch ein historisch privilegierter Träger sozialer Veränderung ausmachen, dem lediglich noch das Bewußtsein seiner historischen Rolle fehlt.

Daß die wirklichen gesellschaftlichen Verhältnisse weit unübersichtlicher sind, als von vielen bei der Gründung der Zeitschrift vielleicht angenommen wurde, muß aber nicht zur Konsequenz haben, allein beim Konstatieren dieser Unübersichtlichkeit stehen zu bleiben. Die Publikationsstrategie der PROKLA zielt darauf ab, Fragen aufzuwerfen, in Debatten einzugreifen oder sie zu initiieren, die für Individuen und gesellschaftliche Bewegungen interessant sein können, die in unterschiedlicher Weise die verschiedenen Formen von Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung bekämpfen, die ja trotz aller Unübersichtlichkeit keineswegs verschwunden sind. Dabei existieren für die Publikation der Artikel allerdings keine eindeutig fixierten Kriterien. Die Aufsätze sollen zwar für eine (in weitem Sinne) „linke“ Leserschaft interessant sein, sie müssen aber nicht einer bestimmten Linie folgen, es muß sich auch nicht unbedingt um „marxistische“ Ansätze handeln.

Die Tendenz und die Aussagen der Artikel müssen keineswegs von allen Redaktionsmitgliedern geteilt werden. Daß PROKLA bei aller gewollten Breite des Spektrums keine reaktionären, nationalistischen etc. Artikel bringt, versteht sich allerdings von selbst. Eher als an die politische Ausrichtung werden Anforderungen an die Qualität der Argumentation gestellt. Die in der PROKLA publizierten Aufsätze sollen einen fundierten, analytischen Zugriff zu ihrem Thema bieten; es soll sich also nicht um reine Glaubensbekenntnisse, bloße Stellungnahmen oder Kommentare handeln, so sympathisch die vertretenen Positionen auch sein mögen. Es wird erwartet, daß die Artikel die vertretenen Positionen an der Untersuchung ihres Gegenstands ausweisen. Dabei sollen die Analysen aber auch nicht bloß schon längst Bekanntes wiederholen, was allerdings nicht immer einfach zu entscheiden ist; schließlich ist auch die fachliche Kompetenz der Redaktion nicht unbegrenzt.

Diesen gegenüber der Gründungsphase mehr oder weniger kontinuierlich erfolgten Veränderungen hin zu einer zwar nicht unpolitischen aber doch stärker wissenschaftlich orientierten Zeitschrift wurde relativ spät mit einem neuen Untertitel Rechnung getragen: Seit Heft 86 (1992) nennt sich PROKLA statt „Zeitschrift für politische Ökonomie und sozialistische Politik“ nun „Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft“. Daß eine auf gesellschaftliche Emanzipation zielende Praxis, der das Projekt PROKLA nach wie vor verpflichtet ist, jetzt nicht mehr einfach als „sozialistische Politik“ gefaßt wird, ist kein Reflex auf den Zusammenbruch des „Realsozialismus“. Gerade die Kritik an diesem Sozialismusmodell und der Identifizierung von Sozialismus mit dem „real existierenden Sozialismus“ der DDR oder der Sowjetunion wurde in der PROKLA von Beginn der Zeitschrift an formuliert.

Der Verzicht auf die „sozialistische Politik“ im Titel bedeutet auch keine grundsätzliche Absage an „Sozialismus“, sondern allenfalls an die Vorstellung, bereits genau zu wissen, wie eine sozialistische Gesellschaft aussieht. Vor allem aber reflektiert der Verzicht auf den alten Titel die Einsicht, daß Emanzipationsbestrebungen, die nicht mehr nur oder in erster Linie von politischer Unterdrückung und ökonomischer Ausbeutung ausgehen, sondern auch von Sexismus und Rassismus und die auch die gesellschaftlichen Naturverhältnisse mit einbeziehen, nicht mehr ausschließlich als „Klassenkampf“ und „sozialistische Politik“ aufgefaßt werden können. Kurzum das Projekt PROKLA verabschiedet sich auch mit dem neuen Titel nicht von seiner Vergangenheit, sondern versucht das, was auch schon vor über 20 Jahren ein Antrieb war, einzulösen: Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen zu formulieren, die auf der Höhe der Zeit ist, und damit einen Beitrag zur Veränderung dieser Verhältnisse zu leisten.

aus: Hans Günther Thien (Hrsg.), Bücher nichts als Bücher, Münster, Verlag Westfälisches Dampfboot, 1994

*Michael Heinrich war geschäftsführender Redakteur der PROKLA